Wenn der Patient „leuchtet“
Thema: Szintigraphie
Die Szintigraphie zählt zu den bildgebenden Verfahren und wird in der Tiermedizin
vor allem als Skelett- bzw. Knochenszintigraphie angewandt.
Dabei wird dem Patienten eine schwach radioaktive Substanz (Technetium-99) injiziert, die sich vermehrt an Stellen mit erhöhtem Stoffwechsel anlagert. Das ist zum Beispiel bei Entzündungsprozessen, Fissuren (Haarrissen), Frakturen, knöchernen Reaktionen (z. B. Arthrose), Bänder-An- oder -abrissen sowie Wachstumsprozessen der Fall. Eine spezielle Kamera bildet die ausgesendete Gammastrahlung ab, indem Bereiche mit erhöhter Stoffwechselaktivität deutlich stärker leuchten. Auf diese Weise können entzündliche Prozesse dargestellt werden, die auf dem Röntgenbild so nicht oder nicht ohne weiteres zu sehen sind. Damit stellt die Szintigraphie einen wertvollen Baustein bei der Diagnostik von unklaren Lahmheiten und Rittigkeitsproblemen dar. Doch nicht jede Szintigraphie ist sinnvoll, wie Dr. Thomas Weinberger von der renommierten Pferdeklinik Burg Müggenhausen hinweist: „Vor jeder Therapie steht immer erst die Diagnose, und bevor wir uns für eine Szintigraphie entscheiden, sollte stets eine gründliche klinische Untersuchung erfolgen. Wir müssen vorher wissen, was wir suchen, sonst kommt es möglicherweise zu falsch positiven Ergebnissen.“
Szintigraphien gehören in Müggenhausen wie in vielen anderen Kliniken zum Alltag. Wenn Röntgen und Ultraschall keine ausreichenden Erklärungen für plötzlich oder immer wiederkehrende Probleme liefern können, wird der Ruf nach einer Szintigraphie laut. So auch bei einer langjährigen Kundin von Dr. Weinberger, die ihr Pferd in die Klinik bringt, weil „irgendwas nicht stimmt“: „Lahm ist er eigentlich nicht, nur fühlt er sich beim Reiten anders an. Der hat sich verändert, will nicht mehr so recht vorwärts…“. Ein typischer Fall, der laut Dr. Weinberger aber keineswegs eine sofortige Szintigraphie rechtfertig: „Diese Untersuchungsmethode ist sehr hilfreich, aber nur bei einer kleinen Bandbreite von Fragestellungen. Die Szintigraphie liefert uns gewissermaßen eine Landkarte, deren Punkte wir allerdings auch zuordnen müssen. Das ist aber nur möglich, wenn wir eine Idee haben, was dem Pferd fehlen könnte. Daher läuft ohne gründlichste vorherige Diagnostik gar nichts.“
„Der Idealfall eines „Hotspots“ führt uns sehr schnell zur möglichen Diagnose“, so Dr. Weinberger. „Das ist zum Beispiel bei Fissuren der Fall, die sich auf dem Röntgenbild nicht so ohne weiteres darstellen lassen. Wenn also eine plötzliche hochgradige Lahmheit besteht, ohne dass im Röntgen etwas zu sehen ist, kann die Szintigraphie genau das richtige sein. Es ist zwar eine ziemlich aufwändige Untersuchung, erspart uns aber unzählige weitere Röntgenbilder und reduziert die Risiken für das Pferd.“ Für nicht gerechtfertigt hält Dr. Weinberger die Szintigraphie als erste Untersuchungsmethode bei diffusen Symptomen, etwa einer sogenannten unklaren Oberlinienproblematik oder Lahmheit an mehreren Gliedmaßen. „Hier besteht die Gefahr, dass man ein falsch positives Ergebnis erhält und Kleinigkeiten überbewertet. Außerdem gibt es ja auch durchaus Sekundärbefunde – beispielsweise leuchtet die Schulter, weil diese zur Schonung des eigentlich kranken Beins überlastet wurde. Wer jetzt nur die Schulter behandelt, wird unweigerlich scheitern.“
Dr. Weinberger kann die Bedeutung der klinischen Untersuchung gar nicht genug betonen. „Sie ist das A und O in der Diagnostik! Man muss dabei das ganze Pferd erfassen und das Pferd „erzählen“ lassen. Ein guter Behandler sollte immer das „Gespräch“ mit dem Pferd suchen und sich nicht nur auf bildgebende Verfahren verlassen.“
Ablauf einer Szintigraphie
Um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, ist der reibungslose zeitliche Ablauf der Untersuchung wichtig. Der Patient sollte am Vortag bereits in die Klinik gebracht werden. Am Morgen der Untersuchung wird das Pferd nach Verabreichung des Kontrastmittels longiert, sofern es die Erkrankung zulässt, um auch die weniger gut durchbluteten Bereiche des Körpers anzuregen. Dadurch wird sichergestellt, dass sich das Mittel über die Blutbahn verteilt und in alle Körperareale gelangt. Um eine gute Durchblutung zu gewährleisten, wird das Pferd vorher und anschließend einbandagiert und im Winter auch eingedeckt.
Zur intravenösen Injektion des Technetiums als Kontrastmittel bedarf es keiner Sedierung. Das Mittel benötigt etwa zwei Stunden, um sich komplett im Skelettsystem zu verteilen. Bei einer Ganzkörperszintigraphie beträgt die Dauer der Untersuchung ca. 2 ½ bis 3 Stunden. Sie kann variieren, je nachdem, welche Bereiche szintigraphiert werden. Im Anschluss an die Szintigraphie sollte das Pferd laut den Auflagen des Strahlenschutzamtes zwei Tage lang keinen Kontakt zu Artgenossen oder Stallpersonal haben, da es in dieser Zeit noch Strahlung abgibt. Da das Technetium bereits nach sechs Stunden um die Hälfte abgebaut wird (Halbwertszeit), kann der Patient nach zwei Tagen strahlungsfrei die Isolierbox verlassen.
Da der Stoffwechsel und damit die Szintigraphie sehr sensibel reagiert, sollte der Patient vor der Untersuchung möglichst keine Änderungen in der Haltung durchlaufen, also möglichst nicht nur im Stall stehen, sondern weiterhin kontrolliert bewegt werden. Nur so ist sichergestellt, dass es nicht zu falschen Ergebnissen kommt, weil entzündliche Prozesse zur Ruhe gekommen sind und kein Kontrastmittel angereichert wird.
Text: Ramona Billing; fachliche Beratung: Dr. Thomas Weinberger, Fotos: Pferdeklinik Müggenhausen