Die Muskulatur

Belastung und Fütterung fein abstimmen

Kraftvolles Abspringen vor dem Hindernis, spektakulärer Sprint aus der Startbox oder perfekte Pirouette – ohne gut ausgebildete Muskulatur wäre all dies nicht möglich. Doch Muskeln tun weit mehr als nur bewegen: Sie unterstützen, stabilisieren, halten… Dementsprechend spielen Muskeln eine ganz entscheidende Rolle im Rahmen des Gesundheitsmanagements des Pferdes. PFERDE fit & vital gibt einen Einblick in die Anatomie und Funktion der Pferdemuskulatur.

Die Bemuskelung macht rund 40 Prozent der Gesamtmasse eines Pferdes aus und besteht aus über 500 verschiedenen Muskeln. Doch
Muskel ist nicht gleich Muskel. Wir unterscheiden drei verschiedene Arten von Muskulatur:

  1. Skelettmuskulatur
    (quergestreifte, willkürliche Muskulatur)
    Sie bildet den größten Anteil der Muskeln. Unter dem Mikroskop erscheint sie quergestreift, was auf die
    regelmäßige Anordnung der Proteine Aktin und Myosin zurückzuführen ist. Skelettmuskeln sind vor allem für die Ausführung willentlicher Bewegungen zuständig (Motorik). Jeder Skelettmuskel hat einen Ursprung, einen Muskelbauch und einen Ansatz und ist normalerweise nicht direkt mit einem Knochen verbunden. Meist wird der Zug, der durch das Kontrahieren des Muskelbauchs entsteht, mittels Sehnen auf die Knochen übertragen. Zudem gibt es Muskeln mit mehreren Muskelbäuchen und somit mehreren Endsehnen, solche mit mehreren Ursprungsbereichen sowie solche, die an Faszien entspringen. Einige sind sehnig durchsetzt, was sie zwar weniger beweglich, dafür aber kraftvoller macht, was zum Beispiel bei der Kaumuskulatur wichtig ist. Skelettmuskeln sind häufig paarig vorhanden, also auf der linken und auf der rechten Seite zu finden, und haben in den meisten Fällen einen Gegenspieler (Antagonisten).

Die Steuerung der Skelettmuskeln
erfolgt durch die Hirnnerven und die motorischen Nervenfasern des Rückenmarks. Der Bewegungsimpuls wird dabei von den Nerven an der sogenannten motorischen Endplatte auf den Muskel übertragen.

  1. Die glatte Muskulatur
    (Tiefen- bzw. Eingeweidemuskulatur)
    Die glatte Muskulatur hat nicht die für die Skelettmuskulatur typische, unter dem Mikroskop gut sichtbare Querstreifung. Sie ist in den Wänden zum Beispiel der Verdauungsorgane oder der Gefäße zu finden und hat vielfältige Funktionen zu erfüllen. Während sie beispielsweise im Darm für die Darmbewegung und damit für den Transport des Nahrungsbreis zuständig ist, hält sie in den Blutgefäßen den Gefäßwiderstand im Kreislauf aufrecht.
    Glatte Muskulatur besteht aus kleinen, meist spindelförmigen und stets einkernigen Einzelzellen, die sich durch einen extrem hohen Verkürzungsgrad und geringe Ermüdbarkeit auszeichnen. Im Gegensatz zur quergestreiften Muskulatur kann sie nicht willentlich beeinflusst werden. Die Kontraktion kann durch drei Mechanismen erfolgen, welche zu einem Anstieg der Kalzium-Konzentration in der Zelle führen.
    Kalzium sorgt für die Verbindung von Aktin und Myosin, wodurch es zum Zusammenziehen des Muskels kommt. Lösen sich Aktin und Myosin wieder voneinander, erschlafft der Muskel. Motor des Vorgangs ist der Zellkraftstoff ATP (Adenosintriphosphat), der aus dem Kohlehydratstoffwechsel gewonnen wird – bei Pferden also aus der Stärke im Futter.

Die Herzmuskulatur
Eine Besonderheit stellt die Herzmuskulatur dar. Vom Aufbau her hat sie große Ähnlichkeit mit der Skelettmuskulatur, übernimmt ihre Grundsteuerung jedoch selbst. Spezialisierte Herzmuskelzellen (Schrittmacherzellen) generieren Impulse und leiten diese über sogenannte Gap Junctions von einer Herzmuskelzelle auf die nächste weiter. Den Herzschlag gibt der Sinusknoten vor, der sich am rechten Vorhof befindet. Taktgeber für den Sinusknoten ist das vegetative Nervensystem (Parasympathikus und Sympathikus). Bei körperlicher Belastung oder Stress wird die Herzleistung durch den Sympathikus gesteigert. Ist die Belastung vorüber, senkt sein Gegenspieler, der Parasympathikus, die Herzfrequenz sowie die Übertragungsgeschwindigkeit des AV-Knotens wieder.
Der Impuls für den Herzschlag wird vom Sinusknoten aus über Leitungsbahnen auf den gesamten Herzmuskel verteilt. Zwischen Vorhof und Kammer befindet sich ein weiteres wichtiges Weiterleitungszentrum: der Atrioventrikulärknoten (AV-Knoten), der bei Ausfall des Sinusknotens auch die Funktion des Schrittmachers übernimmt, allerdings in einer niedrigeren Frequenz.

Ein Blick in die Skelettmuskulatur
Wichtig für uns als Pferdehalter und Reiter ist unter anderem ein genauerer Blick in den Aufbau der Skelettmuskulatur. Diese unterteilt sich in dynamische und statische Muskeln. Dynamische Muskeln sind für die Bewegung der Gliedmaßen verantwortlich. Sie sind lang, flexibel und eher an der Oberfläche gelegen. Für die Stabilität des Körpers sorgen die statischen Muskeln. Sie sind kurz, wenig flexibel und liegen in der Tiefe von Rumpf und Hals. Zudem unterscheiden wir Beuger, Strecker und Rotatoren. Für die Gelenkbewegung arbeiten mehrere Muskeln zusammen, um das Bewegungsausmaß zu kontrollieren. Dazu müssen aber auch die chemischen Reaktionen im Muskel reibungslos funktionieren. Wenn die Proteine Aktin und Myosin ineinander gleiten, steigt die Anspannung im Muskel und er verkürzt sich. Für die Dehnung müssen Kalzium und Magnesium die Verbindung von Aktin und Myosin wieder lösen. So erklärt sich auch, warum ein Mangel an Magnesium und Kalzium zu Krämpfen führen kann. Ein quergestreifter Muskel besteht aus zahlreichen Muskelfaserbündeln, die sich aus Muskelfasern zusammensetzen. Die wiederum bestehen aus kontraktilen Myofibrillen, die sich aus unterschiedlichen Filamenten (Myosin, Aktin, Tropomyosin und Troponin) zusammensetzen.

Kontraktion
Wir unterscheiden zwischen drei Arten von Kontraktionen: der konzentrischen (Muskel zieht sich zusammen), der exzentrischen (Muskel dehnt sich) und der isometrischen. Hierbei wird der Muskel angespannt, um Kraft zu halten – zum Beispiel bei höherer Versammlung. Da dies mit großer Anstrengung verbunden ist, ist sorgfältiges Training erforderlich, um eine Überlastung zu vermeiden. Für die Kontraktion der Fasern wird Energie in Form von Adenosintriphosphat (ATP) benötigt, die aber in der Zelle nur für eine relativ geringe Anzahl an Kontraktionen ausreicht. Weitere Energie liefern Glukose und Fettsäuren. Bei hohen Geschwindigkeiten von über 30 bis 40 km/h entsteht rasch eine Sauerstoffschuld, so dass die Energie anaerob gewonnen werden muss.
Der Körper versucht stets, die Aufnahme und den Verbrauch von Sauerstoff im Gleichgewicht zu halten. Bei leichter Belastung wird der höhere Bedarf an Sauerstoff durch die Erhöhung der Herz- und Atemfrequenz ausgeglichen. Ab einer bestimmten Belastung übersteigt der Sauerstoffbedarf den Rahmen dessen, was durch die Atemfrequenz abgedeckt werden kann. Der Muskel geht dann in die sogenannte Sauerstoffschuld, was erst mit Beendigung der Belastung wieder ausgeglichen wird. Glukose wird in Laktat umgewandelt, das sich in der Muskulatur und im Blut anreichert. Laktat wird laufend über die Leber abgebaut. Es kann jedoch zu Ermüdungserscheinungen und Störungen des Säure-Basen-Haushalts kommen, wenn mehr Laktat produziert als abgebaut wird. Die Folge: Leistungsabfall. Für die Regenerationsfähigkeit des Pferdes ist es also auch von entscheidender Bedeutung, wie gut der Körper das Stoffwechselprodukt wieder abbauen kann.

Training macht den Muskel: Balance zwischen Anstrengung und Pausen finden

Jedes Pferd profitiert von regelmäßigem Training. Allerdings muss dieses sowohl zum Pferd an sich als auch seinem Ausbildungsstand und dem jeweiligen Leistungsniveau passen. Falsch trainierte oder überlastete Muskulatur führt unweigerlich zu Schäden am Bewegungsapparat. Zudem muss das Training nach Pausen aufgrund von Verletzungen oder Erkrankungen immer wieder neu überdacht werden.
Auch der größte Spezialist profitiert von abwechslungsreichem Training, da alle Muskeln in engem Zusammenhang stehen und zudem der Kopf eine Auszeit braucht. Regelmäßige Ausritte sollten ein Muss sein zur Entspannung und um das Pferd bei Laune zu halten. Cavalettiarbeit oder kleine Sprünge motivieren das Dressurpferd ebenso wie dressurmäßige Gymnastizierung dem Springpferd guttut. So kommt kein Bereich der Muskulatur zu kurz. Nicht zuletzt ist bei jeglicher Arbeit der Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung enorm wichtig.
Da alle Muskeln in enger Zusammenarbeit stehen, sollte man sich beim Muskelaufbau nicht nur auf einen Bereich konzentrieren. Zwar werden sich bei einem Springpferd immer andere Muskelgruppen deutlicher abheben als bei einem Dressurpferd, ein Rennpferd oder ein Kutschpferd unterscheiden sich aufgrund der unterschiedlichen Beanspruchung der Muskulatur auch deutlich. Dennoch sollte das „Gesamtpaket“ nicht außer Acht gelassen werden. Abwechslung ist Trumpf für die Muskulatur und sorgt dafür, dass kein Bereich zu kurz kommt, sich fehlerhaft entwickelt oder unterentwickelt ist.

Text: Ramona Billing