Die (fast) unsichtbare Gefahr

Atypische Weidemyopathie

Lange Zeit war es ein Rätsel: Immer wieder kam es zu unerklärlichen Todesfällen von Weidepferden, vorzugsweise im Herbst, aber auch im Frühjahr. Scheinbar aus dem Nichts erkrankten völlig gesunde Pferde so schwer, dass ihnen nicht mehr geholfen werden konnte oder sie gar am Morgen tot auf der Weide entdeckt wurden. Heute kennen wir den Grund: Gestorben sind diese Pferde an einer rasant fortschreitenden Muskelerkrankung, ausgelöst durch eine Vergiftung mit der Substanz Hypoglycin A. Sie verursacht die „Atypische Weidemyopathie“.

Der Begriff „Myopathie“ steht für „Muskelerkrankung“ und sagt zunächst nichts über deren Ursachen aus. Wir kennen beim Pferd diverse Störungen im Bereich der Skelett- und/oder Herzmuskulatur und wissen um unterschiedliche Auslösemechanismen – die bekannteste Erkrankung dieser Kategorie ist wohl der Kreuzverschlag.

Was ist eine Atypische Weidemyopathie?

Die Atypische Weidemyopathie ließ sich lange Zeit nicht einordnen – sie war untypisch – und fiel dadurch auf, dass sie ausschließlich bei Weidepferden auftrat – daher der Begriff. Bei einer Atypischen Weidemyopathie vergiften sich betroffene Pferde, wie man heute weiß, mit der Substanz Hypo-glycin A (HGA). Dieses Toxin nehmen Weidepferde unbemerkt mit den typischen Flügelsamen und den daraus wachsenden Keimlingen des BergAhorns, wohl auch des Eschen-Ahorns (seltener) sowie möglicherweise weiterer Ahornarten auf. Werden Samen oder Keimlinge über mehrere Tage aufgenommen, kommt es zu schweren Vergiftungserscheinungen, die auf einer Störung des Fettsäurestoffwechsels durch HGA bzw. durch einen seiner Metaboliten beruhen. Ist der Fettsäurestoffwechsel unter der Wirkung des Gifts ausgeschaltet, wird damit die Energieversorgung der Muskelzellen blockiert, wodurch die Muskulatur des Trageapparats und des Herzens, aber auch die Atemmuskulatur nicht mehr oder nicht mehr ausreichend arbeiten kann. Beim Menschen ist eine vergleichbare, ebenfalls durch HGA hervorgerufene Erkrankung bekannt, die auch durch den Verzehr HGA-haltiger Früchte und Samen hervorgerufen wird.
Vom Tisch sind Vermutungen, Pilzgifte in Blättern oder ein Selenmangel seien ursächlich für die Atypische Weidemyopathie. Auch ist diese Erkrankung nicht identisch mit der Grass Sickness (Equine Dysautonomie), einer Erkrankung des Nervensystems, bei der die Symptome einer Lähmung der Darmperistaltik vorherrschend sind. Deren Verursacher konnte noch nicht ab-schließend identifiziert werden, im Verdacht steht allerdings Clostridium botulinum bzw. das von diesem Keim produzierte Botulinustoxin.

Wie äußert sich eine Atypische Weidemyopathie?

Zu einer Vergiftung kommt es anscheinend dann, wenn Pferde über einen Zeitraum von mindestens vier Tagen die Samen bzw. Keimlinge aufgenommen haben. Es gibt Hinweise, dass nicht alle Pferde gleichermaßen empfindlich auf das Gift reagieren, manche scheinen regelrecht resistent zu sein. Erkrankte Pferde fallen durch eine Vielzahl von Symptomen auf, in deren Zentrum ein zunehmend bedrohliches Versagen der Muskulatur steht, hervorgerufen durch das komplette Zusammenbrechen der Energieversorgung der Muskeln. Patienten zeigen eine ausgeprägte Muskelschwäche, Muskelzittern (Tremor) und Muskelsteifheit bis zu Stürzen und zum Festliegen, ataktische Bewegungen, aber auch Atembeschwerden, hohen Puls, Probleme mit der Futteraufnahme (Einstellen der Futteraufnahme, Schlundverstopfungen, Schwierigkeiten beim Abschlucken) und starkes Schwitzen. Beim Abhören können Herznebengeräusche festgestellt werden, bei der Untersuchung zeigen sich die Schleimhäute blass und/oder bläulich verfärbt. Kann Urin aufgefangen werden, weist er eine typisch dunkle, rot-braune bis schwarze Verfärbung auf, die durch massenhaft ausgeschwemmten Muskelfarbstoff (Myoglobin) verursacht wird. Infolge des Zelluntergangs der Muskulatur wird dieser Muskelfarbstoff frei und gelangt in die Niere. Es kann auch zu kolikartigen Symptomen kommen, zu Problemen mit dem Wasserlassen – und eben auch zum völlig unerwarteten Auffinden eines toten Pferdes am Morgen, das über Nacht erkrankt und rasch verstorben ist.
Im Anfangsstadium können die Krankheitsanzeichen denen einer Kolik oder eines Kreuzverschlags ähneln, oder die Symptome einer durch HGA verursachten Schlundverstopfung stehen zunächst im Vordergrund und führen dazu, dass weitere Anzeichen vielleicht übersehen werden. Bei Verdacht (Berg-Ahorn auf oder bei der Weide) schafft eine Blut- oder Urinanalyse Klarheit.

Wie lässt sich die Atypische Weidemyopathie behandeln?
Leider muss man sagen: In den meisten Fällen ist keine Behandlung möglich, die das Pferd zu retten vermag. Nach übereinstimmenden Zahlen versterben etwa 75 % der Patienten oder müssen eingeschläfert werden, auch trotz schneller, intensiver Therapie…

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Text und Fotos: Angelika Schmelzer