fit & vital mit…Prof. Dr. Uta König von Borstel

Professorin für Tierhaltung und Haltungsbiologie, Justus-Liebig Universität Gießen

„Gutes Reiten und neue Aufgaben können eine Bereicherung für das Pferd darstellen“

Wir leben in einer Zeit, in der wir Reiter sehr kritisch beobachtet werden, wie nicht zuletzt der CHIO letztes Jahr in Aachen bewies. Das ist gut so, wenn dadurch Missstände beseitigt werden. Sicher ist, dass Haltung wie Training einen erheblichen Einfluss auf das Wohlbefinden des Pferdes haben. Wissenschaftlich hat sich damit Prof. Dr. Uta König von Borstel auseinandergesetzt. PFERDE fit & vital unterhielt sich mit ihr.

Frau Prof. König, Sie engagieren sich seit vielen Jahren für bessere Haltungs- und Trainingsbedingungen und sind selbst Reiterin. Wie leben denn eigentlich Ihre Pferde?

Prof. Dr. Uta König: Natürlich in Offenstallhaltung mit Allwetterauslauf und 24/7 Weidezugang an ungefähr 300 Tagen im Jahr. Etwa zwei Monate im Jahr wird der Boden bei uns zu matschig, sodass die Pferde in Nullkommanix die Grasnarbe zertreten würden. Daher müssen sie je nach Witterung meist einige Wochen in Stall/Paddockbereich bleiben. Es gibt zwei Liegeboxen, Fressstände und außerdem einen Heufutterautomat, damit die Heu-Fresspausen auch in der Nacht und wenn ich mal länger dienstlich unterwegs bin nicht zu groß werden und sie regelmäßige Heumahlzeiten haben. Stroh steht immer ad libitum zur Verfügung.

Wie viele Menschen sind auch Sie beruflich sehr eingespannt. Doch Pferde brauchen Beschäftigung, um sowohl körperlich als auch mental fit zu bleiben. Wie schaffen Sie das bei Ihren Pferden?

Prof. Dr. Uta König: Die Pferde haben bei mir oberste Priorität. Von meinem Urgroßvater hat man gesagt, bei ihm kamen zuerst die Pferde, dann lange nichts, dann noch einmal die Pferde und dann erst die Familie. Ich fürchte, ein Stück weit habe ich da etwas von geerbt. Von Vorteil ist natürlich, dass die Pferde bei uns auf dem Hof stehen (es sind keine zehn Meter zwischen Wohnzimmer und Pferdepaddock), sodass sich Familie und Pferde recht gut vereinbaren lassen. Dabei hilft natürlich, dass sich die ganze Familie für Pferde interessiert. Im Minimum verbringe ich 1,5 Std/Tag im Stall/Weide und mit den Pferden. Es gibt nur wenige Tage im Jahr, an denen ich mich aufgrund von Dienstreisen nicht selbst um die Pferde kümmern kann. Füttern und Misten übernimmt dann jemand aus der Familie. Die körperliche Fitness der Pferde kommt leider in den drei Wintermonaten tatsächlich etwas kurz, da ich in dieser Zeit aufgrund der Bodenverhältnisse und der Dunkelheit nur selten zum Reiten komme. Aber es gibt Studien, die zeigen, dass Pferde in Weidehaltung sich selbst ein gutes Grundniveau an Training zukommen lassen. In der Zeit, in der sie auf den Paddockbereich begrenzt sind, halte ich das aber tatsächlich auch für einen kritischen Aspekt, da es dort weniger Bewegungsanreize gibt als auf der Weide. Mental kann ich sie – denke ich – auch während der Winterperiode ganz gut beschäftigen, da wir bei der Stallarbeit nebenbei auch immer mal die eine oder andere Aufgabe üben. Im Sommer versuche ich, wenigstens ein Pferd pro Tag zu reiten, so dass sie zumindest jeden dritten Tag trainiert werden. Aus physiologischer Sicht sind Trainingspausen von ein bis zwei Tagen durchaus angebracht, damit die Muskeln Zeit haben, sich zu regenerieren. Meine Studien zum Lernverhalten zeigen, dass der Lernfortschritt keineswegs geringer ist, wenn man nur ein- bis zweimal pro Woche eine Aufgabe trainiert statt täglich oder jeden zweiten Tag. Deshalb denke ich, dass mein Niveau an Training durchaus vertretbar ist. Für die Vorstellung bei den Stutenleistungsprüfungen hat es zumindest so halbwegs gereicht und weitere Turnierambitionen habe ich im Moment nicht. Mittelfristig hoffe ich aber doch, dass das Training wieder etwas mehr werden wird, wenn unsere Tochter selbständiger unsere Pferde reiten kann. Hin und wieder spiele ich auch mit dem Gedanken, eine Reitbeteiligung zu suchen, aber bis jetzt habe ich für die Suche noch keine Zeit gefunden.

In Ihrer Forschung haben Sie sich mit einer Vielzahl von Punkten zum Wohle des Pferdes auseinandergesetzt, zum Beispiel mit dem Anreiten. Für die Gesunderhaltung ist ja nicht nur das Alter wichtig, in dem ein Pferd angeritten wird… Wie ist Ihre Stellung hierzu?

Prof. Dr. Uta König: In der Tat zeigt die Forschung, dass die Haltung entscheidend für die Gesundheit ist. Wenn die stimmt – also reichlich freie Bewegung auf der Weide mit Artgenossen -, dann kann es sogar Vorteile haben, Pferde früher statt später an die Belastung heranzuführen, weil insbesondere Knochen und Knorpel nur in der Wachstumsphase das Potential haben, sich an Belastungen längerfristig anzupassen. Das gilt insbesondere aber natürlich auch, wenn ein früherer Trainingsbeginn dazu genutzt wird, das Anreiten zu entzerren, so dass das junge Pferd sich entspannt an neue Aufgaben und Umgebung gewöhnen kann.
Noch nicht so erfahrenen Pferdehaltern fällt es nicht immer leicht zu erkennen, wann ein Pferd beim Training psychisch überfordert ist. Andererseits können Pferde aber auch körperlich wie mental unterfordert sein…
Ich bin mir in diesem Punkt tatsächlich nicht so sicher, ob dies nicht eine zu menschliche Sichtweise ist. Es ist nicht gesichert, ob Pferde Langeweile ähnlich wie wir empfinden können. Wenn wir den Eindruck haben, dass sich ein Pferd langweilt, handelt es sich in der Regel um Frustration, d. h. das Pferd kann ein bestimmtes, stark motiviertes Verhalten nicht ausüben (z. B. Futteraufnahmeverhalten oder Sozialverhalten), es ist aber dann nicht auf der Suche nach neuen Anreizen. Monotonie im Training ist sicher eher aus körperlicher Sicht ein Risiko, indem dadurch einseitige Be- und Überlastung, Verspannung und Schmerzen entstehen. Gutes, d. h. vor allem spannungs-, schmerz- und stressfreies Reiten und das Training von neuen Aufgaben kann sicherlich eine Bereicherung für das Pferd darstellen. So wissen wir zum Beispiel, dass sich Tiere über Lernerfolge freuen können. Aber andersherum glaube ich nicht, dass dem Pferd etwas Gravierendes fehlt, wenn es nicht geritten oder trainiert wird – natürlich nur, sofern die Haltungsbedingungen stimmen. Pferde mögen Vorhersehbarkeit und klare Regeln. Daher ist es kein Problem, wenn Pferde immer wieder die gleichen Aufgaben ausüben müssen – sofern es zu keiner körperlichen Überlastung kommt und die grundlegenden Verhaltensbedürfnisse erfüllt werden.

Sie haben sich mit vielen praktischen Aspekten des Reitens und der Pferdehaltung auseinandersetzt, so z. B. ob einfach oder doppelt gebrochene Trensen angenehmer sind und ob tägliches Reiten besser ist als nur alle drei Tage etc. Kommt es nicht vor allem auf die Empathie des Halters bzw. Reiters an, auf sein Feeling und darauf zu erkennen, ob ein Pferd sich wohl fühlt oder nicht?

Prof. Dr. Uta König: Das ist natürlich richtig. Die Praxis zeigt aber, dass viele, wenn nicht die Mehrheit der Reiter nie gelernt haben und daher nicht in der Lage sind, Schmerz- und Stressverhalten von Pferden richtig zu deuten. Z. B. wird über Pferde, die ein ganz deutliches Schmerzgesicht beim Reiten zeigen und sich auch entsprechend verhalten, gesagt „Der hat heute nur keine Lust“. Abwehrbewegungen und Konfliktverhalten werden ignoriert, als normal oder zumindest als unkritisch empfunden, da sie als Widersetzlichkeit statt als Ausdruck von Schmerz oder Angst gewertet werden und da sie vielerorts so allgegenwärtig sind. Es fehlt elementar an Wissen zum Ausdrucksverhalten von Pferden. Die alte Lehrmeinung, dass Pferde Schmerzen nicht zeigen, weil sie Fluchttiere sind, verhindert vermutlich auch ein Stück weit, dass Reiter sich näher Gedanken über die Gefühlswelt der Pferde machen. Das vermutlich größte Hindernis ist jedoch, dass die Reiter zugeben müssten, dass etwas schief läuft bei ihrem Reiten und dass sie ihr eigenes Pferd nicht richtig lesen können. Da gehört viel innere Größe dazu, dies zu erkennen und Änderungen vorzunehmen.

Thema Rollkur: Sie setzen sich seit Jahren dagegen ein und haben die negative Auswirkung aufs Pferd klargestellt. Trotzdem halten Ausbilder und Reiter weiter daran fest und werden auch noch mit Turniererfolgen belohnt. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?

Prof. Dr. Uta König: Zusammen mit meinen Kollegen habe ich gerade die Metaanalyse aller verfügbaren wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema aktualisiert. Der Stand der Dinge ist, dass sich die Aussage auch mit den neuesten Erkenntnissen nicht geändert hat: Hyperflexion beeinträchtigt das Tierwohl selbst dann, wenn es für nur kurze Zeit und nur in milderer Form angewandt wird und auch dann, wenn es sich um Elitesportpferde handelt und/oder solche, die diese Trainingsmethode gewohnt sind. Bei den gymnastizierenden Effekten halten sich erwünschte und unerwünschte Auswirkungen in der Summe der Studien die Waage. Wir haben dabei aber keine Gewichtung der verschiedenen Effekte vorgenommen. Ein verstärktes Training der Unterhalsmuskulatur ist aber vermutlich negativer zu werten als eine erhöhte kardiovaskuläre Trainingswirkung. Letztere kann ja auch ganz leicht über tierwohlschonende Methoden erzielt werden.
Wir danken für das Gespräch.

Zur Person
Prof. Dr. Uta König von Borstel studierte Pferdeverhalten und Pferdezucht an der Universität im kanadischen Guelph, in Island und Schweden. 2008 kehrte sie zurück nach Deutschland, lehrte zunächst Pferdewissenschaften an der Universität Göttingen und ist heute Leiterin der Professur für Tierhaltung und Haltungsbiologie an der Justus-von-Liebig-Universität Gießen.
Unter anderem hat sie die Internationale Gesellschaft für Pferdesportwissenschaften (ISES) mit gegründet und ist Mitglied der Arbeitsgruppe Tierschutzplan Niedersachsen, im Fachbeirat Tierschutz und Ethik der Vereinigung für Freizeitreiter und -fahrer und Vorstandsmitglied der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft ums Pferd e. V.
Ihre Forschungsschwerpunkte sind Tierhaltung, -verhalten und -wohlbefinden, das Zusammenspiel von Tier, Mensch und Technik, die Interaktion von Pferd und Reiter besonders unter Aspekten der Stressphysiologie und die Tiergerechtheit von Haltungssystemen. Ihr zweiter Forschungsbereich ist Pferdezucht und Genetik