Fit & vital mit… mit Dr. med. Julia Schmidt

Spezialsprechstunde für Reiter

„Rückenbeschwerden sind kein Grund, Reiten aufzugeben!“

Im Gespräch mit Dr. med. Julia Schmidt vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Die Orthopädin, Unfallchirurgin, Ärztin für Manuelle Medizin und Sportmedizin bietet am UKE eine Sprechstunde ausschließlich für Reiter. PFERDE fit & vital sprach mit der Ärztin, die selbst bis Klasse S reitet, über dieses deutschlandweit einzigartige Angebot und das Problem „Reiterrücken“.

Seit März 2015 arbeiten Sie bzw. Ihre Klinik mit dem Landesverband der Reit- und Fahrvereine Hamburg e. V. zusammen und bieten eine Spezialsprechstunde für Pferdesportler, die bislang ihresgleichen sucht in Deutschland. Was hat Sie zu diesem Angebot bewogen?

Dr. med. Julia Schmidt: Zum einen natürlich meine Liebe zu Pferd und zum Reitsport. Ich reite selbst aktiv Dressur bis zur Klasse S und weiß daher aus eigener Erfahrung, wie stark Rückenschmerzen einen beeinträchtigen können. Wenn sich Reiter mit orthopädischen Problemen bei
einem nicht reitsportaffinen Arzt vorstellen, bestehen beim Arzt manchmal Unkenntnisse, wie Reiten sportmotorisch funktioniert; es wird auch öfter behauptet, Reiten sei ja kein Sport. Schlimmstenfalls wird sogar geraten, mit dem Reiten aufzuhören. Dabei ist beides nicht richtig. Reiten ist ein komplexer Sport, der beispielsweise etwa achtmal mehr Muskeln als das Joggen beansprucht und ein hervorragendes Haltungs- und Bewegungstraining darstellt. Zudem fördert es die Koordination und Balance. Orthopädische Beschwerden sind fast nie ein Grund, um das Reiten auf Dauer aufzugeben. Sicher kann es bei einigen Beschwerden wie einer Wirbelkörperfraktur oder einem akuten Bandscheibenvorfall notwendig sein, vorübergehend zu pausieren, aber das muss keinesfalls das Ende des Reitsports bedeuten.

Welches sind die häufigsten Probleme, mit denen die Patienten zu Ihnenkommen?

Am häufigsten sind Schmerzen im Lendenwirbelbereich und im unteren Rücken sowie Probleme mit den Adduktoren. Das betrifft Reiter aller Altersgruppen und geht schon bei Jugendlichen los. Diese neigen schnell zu Überlastungserscheinungen, wenn aufgrund des Wachstums noch nicht die nötige Stabilität vorhanden ist. Die mangelnde Grundstabilität ist generell ein
Problem, und die meisten von uns sitzen zu viel. Die Rückenproblematik zieht sich übrigens durch alle Disziplinen und betrifft Freizeitreiter wie Turnierreiter gleichermaßen.

Sie betonen immer wieder, dass Rückenprobleme ja nicht nur den Reiter schmerzen, sondern auch das Pferd beeinträchtigen. Wie macht sich das bemerkbar?

Ein verspannter, schmerzender Reiterrücken und Blockaden kommen auf Dauer auch beim Pferd an. Wenn beispielsweise das Iliosakralgelenk blockiert ist, dann wird der Reiter nur schwer mitschwingen können. Dann ist es auch für das Pferd sehr schwer, von hinten nach vorn durchzutreten. Es kommt zu Schwungverlust, Taktunreinheiten und Widerstand beim Stellen und Biegen bis hin zu Blockaden beim Pferd. Mit anderen Worten: Wer seinem eigenen Rücken etwas Gutes tut, tut das auch seinem Pferd.

Wie läuft die Sprechstunde bei Ihnen ab?

Zunächst führen wir eine gründliche Anamnese durch, bei der Aspekte wie zum Beispiel Ernährung und Vorerkrankungen abgefragt werden. Dazu gibt es einen eigenen Anamnesebogen für die Reiter, der z. B. abfragt, wie lange, wie oft sie welche Disziplin reiten, und nach Unfällen und Nutzung von Sicherheitsausrüstung fragt. Wenn möglich, sollten die Patienten eine Videoaufnahme mitbringen, auf denen sie in allen Gangarten auf beiden Händen gefilmt werden, gerne auf dem zweiten und dritten Hufschlag und von hinten in enger Reitkleidung. Neben der allgemeinen und reitsportspezifischen Anamnese erfolgen immer ein Ganzkörperbefund und ein zusätzlicher physiotherapeutischer Befund. Wir besprechen gemeinsam notwendige funktionale Testungen wie z. B. den Sportmotorik-Test des DOKR oder erforderliche bildgebende Diagnostik wie etwa MRT oder DIERS- Vermessung (Lichtoptische ganzheitliche Bewegungsanalyse). Daraus ergeben sich dann Lösungswege speziell für Reiter. Übrigens haben wir ein spezielles Trainingsprogramm für Pferdesportler entwickelt: „Athletisch im Sattel“.
Ziel ist es, den Reiter durch körperliche und sportliche Trainingsübungen für das Reiten fit zu halten, damit Pferd und Reiter harmonisch miteinander arbeiten können. Ich habe zusammen mit reitenden Physiotherapeuten und Sportwissenschaftlern separat ein Medical Team Reitsport gegründet.

Reiten sollte idealerweise durch ein Ausgleichstraining ergänzt werden, was natürlich oft aufgrund von Zeitmangel ausfällt. Was raten Sie?

Ja, ein Ergänzungssport ist beim Reiten wirklich wichtig. Es muss aber auch zeitlich noch in den Rahmen passen. Es muss etwas sein, was man gut im Alltag unterbringt und auch langfristig beibehalten kann. Dazu darf das Ganze nicht zu komplex sein. Das Ergänzungstraining sollte gezielt auf die individuellen Schwachstellen eingehen und hier gegensteuern. Sehr häufig sind das Blockaden im Kreuzdarmbeingelenk, fehlende Rumpfmuskulatur oder ein verkürzter Hüftbeuger. Gegen verkürzte Muskulatur helfen Dehnungsübungen, die man auch gut selbst zuhause machen kann. Ich bin ein großer Fan von Pilates, das sehr gut bei der Stabilisierung der Rumpfmuskulatur hilft. Wichtig ist, dass man eine Einweisung erhält, wie die Übungen richtig durchgeführt werden.


Das Interview führte: Ramona Billing

Zur Person:
Dr. med. Julia Schmidt ist seit 2015 am UKE Athleticum tätig und etablierte hier die Sprechstunde für Pferdesportler. Sie ist zudem Verbandsärztin LV Hamburg. Seit 2017 ist die gebürtige Hessin, die in Berlin aufwuchs, Stellvertretende Ärztliche Leiterin des UKE Athleticums.
Den Pferden ist Frau Dr. Schmidt von klein auf verbunden. Ihr Onkel hatte Pferde in Bad Kreuznach. Mit drei Jahren saß sie das erste Mal im Sattel. Sie reitet schwerpunktmäßig Dressur bis Klasse S, war Berlin-Brandenburgische Jugendmeisterin Dressur 1994 und Teilnehmerin an der Deutschen Meisterschaft. Zudem war sie im Nationenteam der Studentenreiter.