Wunderwerk Sprunggelenk

Enorm komplex & stark beansprucht

Das Sprunggelenk ist eines der am meisten beanspruchten Gelenke des Pferdes und gleichzeitig eines der komplexesten. Hier wirken enorme Kräfte – man denke nur an das Abdrücken vor einem Hindernis, das Verstärken im Trab und Galopp in den höheren Dressurklassen oder an den Sliding Stop und Roll Back eines Reiningpferdes. Kein Wunder, dass es hier häufig zu Verletzungen und belastungsbedingten Degenerationserscheinungen kommt. Tatsächlich zählen Erkrankungen des Sprunggelenks zu den häufigsten Lahmheitsursachen an der Hinterhand. Die Diagnostik ist alles andere als einfach. Ein kleiner Ausflug in die Anatomie zeigt, warum.

Das Sprunggelenk setzt sich aus neun Knochen zusammen, die vier einzelne Gelenke bilden. Diese werden von einem komplexen Bandapparat sowie der Gelenkkapsel zusammengehalten. Das größte dieser Gelenke ist das Tibiotarsalgelenk, ein Scharniergelenk, das etwa 90 Prozent der Beweglichkeit des Sprunggelenks ausmacht. Die drei kleineren Gelenke sind das proximale intertarsale, das distale intertarsale und das tarso-metatarsale Gelenk – alle drei sind nur minimal beweglich. An der Vorderseite des Sprunggelenks verläuft die Strecksehne, auf der Rückseite des Sprunggelenks die oberflächliche Beugesehne der Zehengelenke. Die Bewegung des Sprunggelenks ist eng mit der Bewegung des Kniegelenks verbunden. Zwei entgegengesetzte Muskelgruppen arbeiten hier zusammen, so dass sich immer nur beide beugen oder strecken können.

Häufig unklare Symptomatik
„Schwellung und Wärme sind deutliche Warnzeichen, dass am Gelenk etwas nicht stimmt“, so Stefanie Petzoldt, Spezialistin für Orthopädie, Chirurgie und bildgebende Diagnostik der Pferdeklinik an der Rennbahn in Iffezheim. „Doch nicht immer sind die Symptome so eindeutig. An Probleme im Sprunggelenk sollte man auch zum Beispiel bei unklaren Lahmheiten denken, die sich einlaufen, auffallend häufigem Entlasten eines Hinterbeines oder, wenn ein Pferd am Sprung nicht abdrücken oder grundsätzlich nicht so recht vorwärts gehen will.“ Begünstigend wirken Stellungsfehler, Überlastung sowie generelle Management-Fehler wie zu lange Beschlagsperioden, Reiten auf schlechtem Boden und mangelnde Regenerationsmöglichkeit. Auch eine genetische Komponente gibt es.

Diagnostik
Eine gute klinische Untersuchung mit Beugeprobe gibt erste Aufschlüsse, ob das Problem im Sprunggelenk zu suchen ist. Danach wird mittels Anästhesie einzelner Bereiche das Problem weiter eingekreist. Detaillierteres zeigt sich in guten Röntgenaufnahmen, die gegebenenfalls auch tangential gemacht werden sollten, sowie – ganz wichtig – im Ultraschall. Hier werden insbesondere auch Erkrankungen an den Bändern erkennbar. Wenn dies noch nicht ausreicht, können eine Szintigraphie, ein MRT oder ein CT weitere Informationen liefern. Die Szintigraphie hilft zudem bei der Beurteilung des Heilungsverlaufes. „A und O ist aber immer, dass man auch wissen muss, wonach man sucht“, erklärt die Expertin.

Erkrankungen des Fesselträgerursprungs
Zu den häufigsten Problemen am Sprunggelenk zählen Erkrankungen des Fesselträgerursprungs. Beim Fesselträger handelt es sich um eine breite, bandartige Sehnenstruktur mit muskulären Anteilen, die sich im Laufe der Evolution aus einem Muskel (M. interosseus medius) gebildet hat und Teil des Trageapparates der Fessel ist. An seinem Ursprung haftet der Fesselträger an den Knochen an. Hier kommt es nicht selten zu typischen Sportverletzungen wie Zerrungen und Rissen.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Fesselträgerursprung von einer straffen Manschette aus Bindegewebe umgeben ist. Schwillt die Sehne darunter aufgrund einer Entzündung an, verschlimmert dies die Symptomatik noch. Zudem kann es bei länger andauernder Erkrankung ohne Behandlung zu Knochenzubildungen kommen. „Es gibt nicht nur eine Verletzung oder Erkrankung des Fesselträgerursprungs, sondern viele mögliche Facetten“, so Petzoldt. „Diese gilt es sehr genau einzugrenzen. Das erfolgt zunächst im Rahmen einer Ultraschalluntersuchung, die zeigt, ob die Sehne bereits verdickt und die Knochenkontur normal oder bereits aufgeraut ist. Detaillierte Informationen gibt es über ein MRT bzw. über eine Szintigraphie. Hier wird auch ersichtlich, ob sich sogenannte Spikes gebildet haben, dornartige Knochenauswüchse, die in den Fesselträger hineinragen.“ Je früher die Erkrankung diagnostiziert wird, desto besser ist die Prognose. Doch nicht immer ist die Symptomatik eindeutig. Sie reicht von Hitze, Schwellung, Pulsation und Berührungsempfindlichkeit bis hin zu unklarer Lahmheit, die nur hin und wieder auftritt. „Bei einer akuten Verletzung am Fesselträgerursprung wird man zunächst mit entzündungshemmenden Mitteln, Umschlägen und kontrollierter Bewegung therapieren“, so Petzoldt. „Keinesfalls darf das Training zu früh wieder aufgenommen werden, da man sonst einen Rückfall provoziert.
Wenn die Erkrankung bereits chronisch geworden ist, haben wir in unserer Klinik sehr gute Erfahrungen mit der Stoßwellentherapie gemacht. Dies wurden auch in zahlreichen Studien bewiesen, der Wirkmechanismus ist jedoch bisher nicht völlig geklärt. Auch die Einbringung von Stammzellen unter Ultraschallkontrolle kann sich positiv auswirken. Sind alle konservativen Möglichkeiten ausgeschöpft, kann gegebenenfalls eine sogenannte Fasziotomie helfen, also ein chirurgischer Eingriff. Das ist beispielsweise bei einer chronischen Verdickung oder anderen Defekten im Fesselträger der Fall.“
Die Expertin weist aber ausdrücklich darauf hin, dass der Behandlungserfolg mit dem anschließenden Management des Pferdes steht und fällt. „Die Prognose ist generell abhängig von der Art der Veränderung und leider an den Hinterbeinen immer schlechter als am Vorderbein. Aber das Management ist letztendlich alles“, betont sie. „Hierfür müssen Pferdebesitzer, Schmied und Tierarzt eng zusammenarbeiten. Beschlag, Einsatz des Pferdes und der Boden, auf dem gearbeitet wird, müssen optimal stimmen!“

Spat
Spat ist eine der häufigsten Erkrankungen des Sprunggelenks. Es handelt sich dabei um einen chronischen Prozess, dessen Symptome mal mehr und mal weniger deutlich auftreten. Bei Spat kommt es zu einer Entzündung, die vor allem die straffen Sprunggelenksreihen betrifft. Diese geht entweder mit einer Knochenzubildung einher oder einer Osteolyse, also der Auflösung von Knochengewebe. Letztere ist die schmerzhaftere und schwerer zu behandelnde Form. Bei der Form mit Verknöcherung reagiert der Körper auf die chronische Entzündung mit der Bildung neuer Knochensubstanz. Diese verengt die Gelenkspalten immer mehr.

Text: Ramona Billing/Fachliche Beratung: Stefanie Petzoldt,
Fotos: Pferdeklinik an der Rennbahn, Angelika Schmelzer (1)

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