Haarige Angelegenheit

Rund ums Winterfell

Zweimal im Jahr wechseln Pferde ihr Fell. Das ist nicht nur für uns Pferdehalter eine im wahrsten Sinne des Wortes haarige Angelegenheit, sondern verlangt unseren Pferden auch einiges ab. Wenn es ums Winterfell geht, stellen sich einige Fragen, vor allem „Eindecken oder nicht?“ und „Scheren oder nicht?“ PFERDE fit & vital hat das Thema genauer unter die Lupe genommen und liefert die wichtigsten Hintergrundinformationen.
Viele Pferde haben bereits während der warmen Spätsommertage damit begonnen, Winterfell anzusetzen – gut informierte Pferdefreunde überrascht dies nicht, denn sie wissen, dass nicht etwa die Temperatur, sondern die abnehmende Tageslichtlänge den Impuls dafür liefert. Sobald die Tage nach der Sommersonnenwende langsam wieder kürzer werden, fällt bald auch das Sommerfell aus und das dichtere Winterfell wächst nach. Dieses besteht aus Deck- und Langhaar und isoliert gut gegen Kälte und Niederschläge. Ab etwa Ende August, erfahrungsgemäß mit den ersten frischen Nächten, kommt der Prozess in Gang und nimmt über den Herbst hinweg Fahrt auf. Die endgültige Länge und Dichte des Winterfells nach Abschluss der Fellneubildung – sie dauert oft bis in den Dezember hinein an – hängt von verschiedenen Faktoren ab: Vieles ist rassebedingt, so wird ein Pony in der Regel ein dichteres und längeres Fell haben als ein Vollblüter. Auch die Haltung trägt dazu bei: Pferde, die in Offenställen stehen, brauchen einen dickeren Winterpelz als die Artgenossen, die im warmen Stall gehalten werden. Zudem können Alter und Futterzustand eine Rolle spielen. Außerdem beeinflussen manche Erkrankungen den Fellwechsel und die Fellbildung. Erst, wenn die Tage wieder länger werden, weichen die Winterfellhaare dann wieder dem kürzeren Sommerfell.

Fellwechsel stellt hohe Anforderungen an den Pferdekörper
Jeder Fellwechsel stellt beachtliche Anforderungen an den Pferdekörper. Der Winterfellwechsel aufgrund des großen Volumens an Haarkleid und der langen Dauer des Prozesses ist allerdings ungleich anstrengender als der Frühjahrsfellwechsel. Der Bedarf an Ressourcen wie vor allem Eiweiß, essentiellen Fettsäuren, Vitaminen und Spurenelementen wie Zink, Selen oder Kupfer ist hoch. Wird er nicht über die Fütterung gedeckt, kann der resultierende Mangel Folgen haben, auch etwa für das Immunsystem. Kein Wunder, dass manche Pferde in dieser Zeit anfälliger für Husten & Co. sind!
Besonders anstrengend ist der Fellwechsel für ältere Pferde. Ihr Stoffwechsel ist langsamer, so dass sich auch der Fellwechsel länger hinzieht als bei jüngeren Pferden. Nicht selten beginnen sie in dieser Zeit an Gewicht zu verlieren. Dem sollte der Pferdebesitzer entsprechend Rechnung tragen und die Fütterung nach Rücksprache mit dem Tierarzt anpassen. Alarmsignal sind oft „Hungerhaare“: einzelne oder kleinere, spärliche Büschel überlanger Haare, die eine gute Winterbehaarung vortäuschen, aber keine nennenswerte Isolierfunktion aufweisen.

Thermoregulation
Im Vergleich mit anderen Haus- und Nutztieren vertragen Pferde sowohl Kälte als auch Hitze gut, wobei sie kühle Temperaturen deutlich besser tolerieren. Der Wohlfühlbereich eines Pferdes liegt etwa 5o bis 15° Celsius unter dem des Menschen, wir frieren also deutlich früher als unsere Pferde. Um ihre Körperwärme konstant zu halten, verfügen Pferde über eine ausgeklügelte und sehr effektive Thermoregulation. Je nach Außentemperatur sorgen Fettgewebe, Schweißdrüsen, Fell und Blutkreislauf im Verbund dafür, dass der Pferdekörper nach Bedarf Körperwärme abgibt oder einspart. Die Kühlung funktioniert über den Entzug von Verdunstungskälte, indem bei (drohender) Überwärmung die Schweißproduktion angekurbelt wird. Zudem stellen sich die Blutgefäße an der Körperoberfläche weit und unterstützen so die Abgabe von Wärme. Wärme wird eingespart und im Körper gehalten, indem Fell und Fett zusammen eine gut funktionierende Isolierschicht bilden. Zudem werden die Blutgefäße der Haut nun eng gestellt, der Blutfluss darin gedrosselt und so der Wärmeverlust weiter herunter reguliert. Diese Funktionen arbeiten sehr effizient, vorausgesetzt, Fell und Fettschicht sind vorhanden, die interne Wärmeproduktion arbeitet reibungslos und alle Einheiten sind trainiert und aufeinander eingespielt. Daraus folgt, dass die Thermoregulation und ihre Untereinheiten zum einen möglichst durch uns Pferdefreunde nicht verändert oder ausgeschaltet werden darf, dass unsere Pferde über die Fütterung alles bekommen müssen, was sie etwa für den Aufbau einer physiologischen Fettschicht brauchen und dass sie Gelegenheit haben sollten, ihre Thermoregulation auch zu üben.

Höherer Energieverbrauch im Winter
Fallen die Temperaturen unter 5o Celsius, erhöht sich die Stoffwechselaktivität, um die Körpertemperatur konstant zu halten. Experten gehen davon aus, dass der Energiebedarf unserer Pferde in den Wintermonaten pro Grad Temperaturerniedrigung um 0,2 bis 2,5 Prozent steigt, wobei kleinere Pferde durch ihren im Verhältnis zur Körperoberfläche höheren Wärmeverlust (entscheidend hierfür ist das Verhältnis von Körperoberfläche zu Körpervolumen) vergleichs-weise mehr brauchen. Der Mehrbedarf muss vorwiegend durch eine entsprechend steigende Zuteilung von Raufutter – Heu – aufgefangen werden. Hilfreich kann auch die gezielte Zuführung hochwertiger Energielieferanten in Form von Futterölen sein. Für den Pferdehalter heißt dies: Während des Fellwechsel und solange die Fellneubildung anhält, werden über die Fütterung vor allem Baustoffe für die Haarproduktion gezielt bereitgestellt, bei winterlicher Witterung wird vorwiegend dem erhöhten Bedarf an Raufutter und Energie über die Tagesration Rechnung getragen.

Scheren: Manchmal muss es eben sein
Auf Seiten des Pferdes wird alles getan, um bei großer Kälte Körperwärme einzusparen – doch diese natürliche Schutzfunktion kann mit den Bedürfnissen und Wünschen des Pferdefreundes kollidieren. Pferde, die auch im Winter im Training sind, schwitzen unter dem dichten Winterfell, da es die Abgabe der bei Muskelarbeit entstehenden Wärme behindert. Langes Nachschwitzen mit der Gefahr von Auskühlung, Erkältungen und Verspannungen droht; zudem kann die anhaltende Überwärmung des Pferdes sich negativ auf dessen Leistungsvermögen niederschlagen und zu Kreislaufproblemen führen. In internationalen Turnierställen beugt man teilweise zu langem Fell vor, indem man in den Stallungen Tageslicht simuliert. Allerdings müssen derart gehaltene Pferde dann durch Decken vor Witterungseinflüssen draußen geschützt werden. In den meisten Pferdebetrieben aber kommt irgendwann der Punkt, wo eine Entscheidung getroffen werden muss: Scheren, ja oder nein? Und wenn das Pelztier schon nach fünf Minuten Schrittreiten zu schwitzen beginnt, muss nicht mehr lange nachgedacht werden: Das Fell muss runter!
Aber bitte mit Augenmaß: Scheren wie auch Eindecken stellen erhebliche Eingriffe in die Thermoregulation des Pferdes dar. Doch die einzig denkbare Alternative, Pferde über das Winterhalbjahr nur noch sehr eingeschränkt – also „unterhalb der Schwitzgrenze“ – zu bewegen, ist nicht wirklich in die Praxis umsetzbar. Zudem hat regelmäßiges Training gesundheitliche Vorteile für die Mehrzahl aller Pferde, eine halbjährige „Außerdienststellung“ stellt deshalb keine Lösung dar. Und es gibt durchaus auch medizinische Gründe, die für das Scheren bzw. Eindecken sprechen können: Bei älteren Pferden und Cushing-Patienten etwa sind Fellbildung und Fellwechsel gestört, ihnen kann man durch eine Schur Erleichterung verschaffen.

Das sollten Sie beim Scheren beachten
Der optimale Zeitraum fürs Scheren ist in der Regel Ende Oktober bis Anfang November. Eventuell muss später nachgeschoren werden, wenn das Fell stark nachwächst. Wenn möglich, sollten Sattellage und Nierenpartie nicht geschoren werden. Zudem müssen bei der Schur „Schnittmuster“, Haltungsform, Trainings-intensität und Versorgung mit Decken aufeinander abgestimmt werden – es gibt keinen für alle Pferde passenden Plan. Wer beim Scheren die Regionen unterhalb der Körpermitte unangetastet lässt, erhält seinem Pferd auch den wichtigen Schutz vor Durchnässung. Je größer die freigeschorenen Areale, desto besser funktioniert die Wärmeabgabe – desto eher droht aber auch Auskühlung. Deshalb gehören Schur und Eindecken immer zusammen – nicht unbedingt dauerhaft, aber zumindest zeitweise, wenn die Witterung es erforderlich macht.
Nach dem Scheren muss das Pferd zumindest draußen meist eingedeckt bleiben, in Außenboxen auch im Stall – und das bis ins Frühjahr hinein. Das stellt für den Pferdefreund einen erheblichen Aufwand dar: verschmutzte, durchnässte oder defekte Decken runter vom Pferd, Ersatzdecke drauf, und das nicht selten täglich. Steigen die Temperaturen wieder, ist ständiges Mitdenken und Decke wechseln angesagt, denn bei milderen Temperaturen überhitzen die Pferde unter der Decke schnell. Auch der beste Zeitpunkt für das endgültige Ausdecken ist jedes Jahr wieder die große Frage. Insgesamt sollte das Pferd so wenig wie möglich dauerhaft eingedeckt bleiben: Die Thermoregulation bleibt untrainiert, die Haut leidet und reagiert mit Haarbruch und Scheuerstellen, Pilz-infektionen drohen, die Bildung von Vitamin D wird behindert.
Es kann natürlich auch der Fall auftreten, dass nicht geschorene Pferde eingedeckt werden müssen: bei extremen Witterungsverhältnissen, für Transporte, bei medizinischen Notfällen, zum Abschwitzen nach dem Training, bei ungenügender Fellbildung und drohenden oder eingetretenen Gewichtsverlusten.

Eindecken: Was tun, was besser lassen?
Scheren und Eindecken sollten zum Ziel haben, unsere Pferde über das Winterhalbjahr trainieren und draußen halten zu können – beides ist gleichermaßen wichtig. „Draußen“ heißt im Offenstall, auf der Winterweide, stundenweise gemeinsam auf dem Allwetterauslauf, in der Paddockbox. Entscheidend sind Bewegung, Frischluft, Sonnenlicht, so häufig und so lange wie möglich.
Eindecken kann unterschiedliche Ziele haben: Es kann das Pferd wärmen, vor Niederschlägen schützen, die Neubildung von Fell nach einer Schur verzögern oder unterbinden, das Abschwitzen unterstützen, das Fell sauber und trocken halten. Entsprechend werden Decken mit unterschiedliche Formen und Materialien benötigt. Es gilt, bei der Auswahl des passenden Produkts einiges zu beachten.
Alle Decken, die länger am Pferd verbleiben, müssen perfekt sitzen, absolut sicher und an Auflage- und Druckstellen gut unterfüttert sein. Ihr Pferd steht ohne ständige Aufsicht im Stall und soll sich beim Spielen, Wälzen, Kratzen oder Scheuern keinesfalls in der Decke oder in den Deckengurten verfangen. Die Decke muss wie angegossen sitzen, da lose Decken hinderlich sind, stärker reiben und ein Sicherheitsrisiko darstellen. Gut geeignet sind Modelle mit Kreuzgurt und doppeltem Brustgurt, die mehrfach verstellbar sind. Beinschnüre und ein Schweifband sorgen dafür, dass die Decke nicht seitlich verrutscht und vom Wind nicht angehoben und dem Pferd übergestülpt werden kann. Lang geschnittene Decken sind mit Gehfalten versehen und behindern die Bewegung nicht. Am Widerrist verhindert eine dicke Polsterung Druckstellen. Eine praktische Sache sind abnehmbare Halsteile. Gerade im Winter sind Kombimodelle zu empfehlen: kompatible Decken mit unterschiedlichen Funktionen, die je nach Anlass einzeln oder zusammen aufgelegt werden können. Verbleibt eine Decke nur kurzfristig auf dem Pferd oder steht der Vierbeiner dabei unter Aufsicht – etwa eine Nierendecke, die beim Regenausritt aufgelegt wird oder eine leichte Fleecedecke für die Arbeit in der Führanlage – sind weniger strenge Maßstäbe anzulegen. Hier genügen einfache Modelle mit weniger aufwändigen Verschlussmöglichkeiten. Decken ohne Bauchgurt können mit einem zusätzlichen Deckengurt aufgewertet werden, der für besseren Sitz sorgt.
Scheren oder nicht, Eindecken oder nicht – es zählen Gesundheit und Wohlbefinden unserer Pferde. Individuelle Entscheidungen bringen unsere Pferde fit & vital durch den Winter!

Text und Foto: Angelika Schmelzer