Genanalysen

Der Stoff, aus dem die Info ist

Der medizinische Fortschritt macht für Pferd und Pferdefreund nicht nur revolutionäre bildgebende Verfahren zugänglich, ermöglicht die Entwicklung effektiverer Therapien, bringt neue Erkenntnisse zu Krankheitsursachen und deren Prävention, sondern hält auch moderne Diagnoseverfahren bereit.
Die Nutzung von Genanalysen mag man zunächst vor allem im Bereich der Pferdezucht sehen, doch ihre Bedeutung geht weit darüber hinaus, kann auch dem privaten Pferdehalter und seinem geliebten Vierbeiner wichtige, vielleicht sogar lebensrettende Erkenntnisse liefern und ist nicht zuletzt auch aus Tierschutzgründen relevant.

Kennst Du Dein Pferd?
Fragt man einen Pferdebesitzer nach den typischen Merkmalen seines Pferdes, ist die Liste lang. An erster Stelle stehen oft Eigenschaften, die etwas mit der gegenseitigen Beziehung zu tun haben, relevant für den Pferdefreund sind aber auch Merkmale des Exterieur (etwa Stockmaß, Kaliber, Fellfarbe, …), des Interieur (vielleicht temperamentvoll, ruhig, ängstlich, …) und des Gangwerks (beispielsweise toller Bergaufgalopp, passartiger Schritt, wenig Raumgriff, …). Je länger Pferd und Pferdefreund einander kennen, desto detaillierter wird diese Liste. Es gelingt mit diesem Wissen, diesen Erfahrungen, dem Pferd immer besser gerecht zu werden, wenn es um die Gestaltung seiner Lebensumstände geht – bei einem eher ängstlichen Pferd etwa wird der Reiter den ersten Turnierstart ganz anders vorbereiten als bei einem stets coolen Artgenossen.
Quasi hinter den Kulissen dieser wahrnehmbaren Merkmale eines Pferdes, dem sogenannten Phänotyp, legt dessen genetische Ausstattung, der Genotyp, die Basis. Die Summe der genetisch fixierten Eigenschaften entspricht aber nicht eins zu eins dem Phänotyp; dieser ist das Resultat aus Erbanlage und Umwelteinfluss und damit veränderbar. Einzelne Merkmale können dabei sehr stark oder nur in geringem Maße von Umweltfaktoren beeinflusst werden; man spricht in diesem Zusammenhang von der „phänotypischen Plastizität“. Die Augenfarbe Ihres Pferdes etwa wird durch Umwelteinflüsse kaum veränderbar sein, sein Stockmaß aber resultiert nicht nur aus seinen Erbanlagen, sondern auch aus Faktoren wie etwa der Fütterung während des Wachstums. Auch Details von Temperament und Charakter erweisen sich als Mischung aus Veranlagung und Umwelteinfluss, etwa durch unterschiedliches Handling oder Training. Seine Gene und seine Lebensumstände haben Ihr Pferd geformt – und nicht selten brauchen Sie Informationen darüber, was genetisch, was umweltbedingt ist oder, anders ausgedrückt, welche genetischen Anlage Ihr Pferd trägt, ohne dass diese (sicher) an seinem Phänotyp erkennbar sind.

Wichtig für jeden Pferdefreund
Wird ein Pferd sportlich eingesetzt, kann das Wissen um seine genetisch fixierten Anlagen dem Pferdebesitzer helfen, die Arbeit effektiver zu gestalten und gleichzeitig aber auch Grenzen zu respektieren. Für diesen Teilbereich der Vererbung können bislang nur wenige Merkmale direkt mit bestimmten Genen in Verbindung gebracht und im Erbgut eines Pferdes auch identifiziert werden. Hier steht die Forschung noch am Anfang, viel aber wissen wir inzwischen über Erbkrankheiten und Farbvererbung unserer Pferde, zwei weitere Aspekte, die insbesondere bei der Pferdezucht von Bedeutung sind. Bei jeder züchterischen Verwendung sind belastbare Erkenntnisse hinsichtlich der genetischen Ausstattung wertvolle Informationen, denn hier geht es um die Weichenstellung für künftige Generationen, also nicht um ein Individuum, sondern um Folgen für eine zahlenmäßig im Voraus nicht er-fassbare Menge an Pferden. Die Zucht, aber auch der interessierte Pferdefreund sucht deshalb nach Möglichkeiten, zuverlässige Informationen über den Genotyp eines Pferdes zu erhalten. Und das geht: mit Gentests.

Wissenschaft trifft Praxis
Mit Gentests ist es heute wesentlich einfacher geworden, viele relevante, aber verborgene „innere Werte“ eines Pferdes offenzulegen. Solche Tests sind für wichtige Erbkrankheiten verfügbar, können aber auch die „Codes“ der Farbvererbung eines Individuums entschlüsseln oder sogar eine gewisse Aussage darüber erlauben, wie es um die genetische Basis bestimmter, für die Einsatzfähigkeit wichtiger Eigenschaften wie etwa Größe, Geschwindigkeit, Gangveranlagung oder Leistungsbereitschaft bestellt ist. Und schließlich lässt sich mittels einer Analyse des Erbguts zweifelsfrei klären, ob ein Individuum von bestimmten Eltern-
tieren abstammt oder eben nicht und zudem mit einem genetischen Profil ein Pferd sicher und für alle Zeiten zweifelsfrei identifizieren. Für all dies brauchte es mehrere Entwicklungsschritte, die vor etlichen Jahrzehnten ihren Anfang nahmen und bis heute immer mehr Geheimnisse aufdecken.
Die Erbinformation von höheren Lebewesen ist in den Chromosomen des Zellkerns in Form von Desoxyribonuklein-säuren hinterlegt. Innerhalb dieser als Doppelhelix organisierten Abfolge lassen sich Gene ausmachen, definierte Abschnitte, die jeweils die Information für ein vererbbares Merkmal enthalten. Nach und nach entschlüsselt die Wissenschaft das Erbgut (Genom) unserer Pferde, kann immer besser dessen Eigenschaften – erwünschte wie unerwünschte – bestimmten Abschnitten zuordnen und zudem den jeweiligen Erbgang analysieren. Ein weiterer Schritt bestand und besteht in der Entwicklung von Gentests, mit denen sich dann einzelne Abschnitte im Erbgut zweifelsfrei nachweisen lassen, mit Hilfe einer einfachen Blutprobe oder ein paar Langhaaren samt Wurzel.
Dabei kooperieren Wissenschaftler weltweit, tragen relevante Informationen zusammen und machen sie sogar öffentlich: Unter https://www.omia.org lässt sich für mehrere Tierarten, darunter auch für das Pferd, der aktuelle Stand der Forschung einsehen. Viel Aufwand, aber er lohnt sich: Er kommt Pferden und Reitern zugute und hat vieles insbesondere in der Pferdezucht Großes bewirkt, was sich an wenigen Beispielen belegen lässt.

Impressive: kleine Ursache, große Wirkung
Gehen wir dafür ein wenig zurück in der Zeit: 1965 wurde der American Quarter Horse Hengst Impressive geboren, der seine Rasse stark beeinflussen sollte – in zweierlei Hinsicht. Er wurde 1974 World Champion Open Halter Stallion. „Halter“ ist eine Showdisziplin, in der Pferde an der Hand vorgestellt und hinsichtlich Exterieur und Zuchteignung beurteilt werden. Impressive war zu seiner Zeit weltweit das beste und bekannteste Halter-Pferd seiner Rasse und als Vererber entsprechend gefragt. Er zeugte 2.250 Fohlen, die Zahl seiner Nachkommen heute beträgt mehrere Zehntausend. Impressive war ein Bild von einem Pferd, mit idealem Exterieur und der rassetypischen ausgeprägten Bemuskelung. Und er war gesund, abgesehen von einer Huferkrankung, die Show-starts unter dem Reiter nicht erlaubten. Was damals niemand wusste: Impressive war Träger – und Ausgangspunkt – einer als „HYPP“ bekannten vererbbaren
Erkrankung, der Hyperkaliämischen Periodischen Paralyse, oft auch einfach Impressive-Syndrom genannt. Diese autosomal-dominant vererbbare Erkrankung führt bei betroffenen Pferden zu Symptomen unterschiedlichen Schweregrads. Es kommt zu Muskelschwäche,-zittern und/oder -lähmungen, die sogar zum Tod führen können. Diese Anzeichen treten typischerweise nicht während des Einsatzes unter dem Reiter auf, sondern häufig sogar in Ruhephasen oder beim Fressen. Nachdem sich diese Erbkrankheit über lange Zeit ungehindert in der Population der American Quarter Horses und über Einkreuzungen auch weit darüber hinaus verbreitet hatte, wurde schließlich Impressive als Ausgangspunkt zweifelsfrei identifiziert: Jedes Pferd, das an HYPP erkrankte oder in dessen Erbgut HYPP nachgewiesen wurde, nachdem ein solcher Nachweis möglich war, stammte von Impressive ab. Hinter dem gesundem Phänotyp des Vererbers war sein kranker Genotyp damals nicht zu erkennen gewesen…

Genanalysen: Qualitätsmanagement trifft Tierschutz
Auch ohne Gentest war und ist es möglich, Krankheiten als genetisch bedingt, als Erbkrankheiten zu identifizieren, durch „Rückwärtssuche“ den Ausgangspunkt auszumachen und so auch möglicherweise belastete Nachkommen zu identifizieren. Diese Form der Identifizierung von (möglicherweise) belasteten Individuen hat aber ihre Tücken und Grenzen. So würde man alleine dadurch eventuell unbelastete Nachkommen nicht erkennen können, denn je nach Erbgang erzeugen Träger eines veränderten Gens eine mehr oder minder große Anzahl von Nachkommen, die es nicht tragen und somit phänotypisch wie genotypisch unauffällig und deshalb züchterisch unbedenklich sind. Relevant ist auch die Identifizierung von Individuen, die zwar Träger sind, aller Wahrscheinlichkeit nach aber selbst nie erkranken werden. Damit stände zwar hinter deren Zuchteignung ein Fragezeichen, doch ihre Reiteignung wäre nicht betroffen – wirtschaftlich gesehen ist deshalb diese Unterscheidung ebenfalls wichtig, von einer Identifizierung unter Zuhilfenahme der Abstammung aber alleine nicht zu leisten. Und schließlich können Gentests auch Träger-Individuen identifizieren, die niemand auf der Liste hat, etwa weil sie trotz genetischer Belastung gesund erscheinen oder wenn es um Erbkrankheiten geht, die innerhalb einer Population sehr weit verbreitet und nicht sicher auf einen Ausgangspunkt zurückzuführen sind.
Gentests sind also heute in der Lage, für eine Vielzahl der – oft rassebedingt gehäuft – auftretenden Erbkrankheiten des Pferdes eindeutig nachzuweisen, ob ein getestetes Individuum Merkmalsträger ist oder nicht und ob ein oder beide Allele (Kopien) betroffen sind, was Folgen für die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung sowie die Weitergabe des defekten Erbguts an etwaige Nachkommen hat. Die Vermeidung von Erbkrankheiten auf Grundlage von Gentests ist zudem die zugleich einfachste wie oft genug auch einzige Prophylaxemaßnahme: Bei Erbkrankheiten gibt es keine ursächliche Heilung, allenfalls lassen sich Symptome mildern, oft aber sind solche Erkrankungen mit dem Leben nicht vereinbar.
Im Zuchtgeschehen sind weithin bestimmte Gentests für Zuchtpferde verpflichtend und entscheiden mit über die Zuchteignung eines Vater- oder Muttertiers. Im Falle von HYPP bedeutet dies beispielsweise: Die für HYPP verantwortliche genetische Mutation konnte 1994 isoliert werden. In der Folge wurde ein Gentest entwickelt, der jedes Pferd eindeutig als Träger oder als unbelastet identifiziert. Die American Quarter Horse Association verlangt die Testung aller Fohlen, die auf Impressive zurückgehen, sofern nicht beide Elterntiere als genetisch unbelastet getestet wurden und schließt doppelte Merkmalsträger inzwischen aus – diese Fohlen werden nicht mehr registriert.

Das Übel an der Wurzel packen
Ähnlich sieht es für viele andere Erbkrankheiten unserer Pferde aus: Ist eine Gesundheitsstörung einmal als genetisch bedingt identifiziert und kann die verantwortliche Mutation dann auch im Erbgut verortet werden, arbeiten Wissenschaftler in einem nächsten Schritt an der Entwicklung eines Gentests, der dann „massentauglich“ auf den Markt gebracht wird und den Zuchtinstitutionen das wichtigste Tool an die Hand gibt, um nun die Weitergabe des schadhaften Gens in der Population zu unterbinden.
Wie wichtig die fortlaufende Erforschung dieser Störungen ist, zeigt eindrucksvoll eine weitere Erbkrankheit, die in zahlreichen Rassepopulationen verbreitet ist: das Warmblood Fragile Foal Syndrome (WFFS), heute Fragile Foal Syndrom (FFS). Diese autosomal-
rezessive Erbkrankheit führt bereits direkt nach der Geburt des Fohlens zu einer so großen Instabilität (Fragilität) der Haut und der Gelenke, dass betroffene Fohlen umgehend eingeschläfert werden müssen. Es gibt diese Erkrankung vermutlich seit über 170 Jahren und das defekte Erbgut betrifft geschätzt bis zu 10 % der Warmblutpferde, je nach Rasse. Seit 2019 schreibt die FN für alle Hengste in Hengstbuch I und II einen verpflichtenden Gentest auf FFS vor, dessen Ergebnis öffentlich gemacht wird, aber keinen Einfluss auf die Eintragung des Hengstes hat. Hier liegt es also auch in der Verantwortung jedes Züchters, am besten auch seine Zuchtstuten testen zu lassen, um FFS sicher ausschließen zu können bzw. einen nachweislich freien Hengst für eine eventuell belastete Stute zu wählen, wenn man denn nicht auf deren Zuchteinsatz verzichten kann.
Erbkrankheiten sind keine Schönheitsfehler, es sind schwerwiegende Störungen, die oft mit großem Leid für die betroffenen Pferde einhergehen oder gar zu deren Tod führen. Es ist deshalb auch unter Tierschutzgesichtspunkten notwendig, sie frühzeitig zu erkennen und dafür zu sorgen, dass sie sich in der Population nicht weiter ausbreiten
können – und dies geschieht heute vielfach mittels geeigneter Gentests, ergänzt von entsprechenden Bestimmungen in der Zuchtauswahl. Umgekehrt gilt: Wer wissentlich mit belasteten Pferden züchtet, handelt womöglich tierschutzrechtlich relevant.

Farbzucht mit Voraussicht
Erbkrankheiten sind sicher ein wichtiges Thema in der Pferdezucht, doch direkt und indirekt spielt auch die Fell- und Langhaarfarbe in vielen Pferderassen und nicht etwa nur bei den sogenannten Farbzuchten eine besondere Rolle. Dafür gibt es zwei gute Gründe, und einer ist sogar medizinisch hoch relevant.Zum einen lässt die individuelle, sichtbare Ausprägung von Fell- und Langhaarfarbe bei einem Pferd keine vollständigen Rückschlüsse auf seine genetische Ausstattung zu – wer aber in der Zucht bestimmte Fellfarben anstrebt oder andere ausschließen möchte, braucht möglichst viele Informationen zum spezifischen Genotyp eines Pferdes. Hinter vielen, üblichen ebenso wie außergewöhnlichen Pferdefarben, steht der Einfluss mehrerer Gene, die gemeinsam ein jeweils typisches Erscheinungsbild festlegen, aber getrennt voneinander vererbt werden und in Verbindung mit den Genen eines zweiten Elterntiers bei den Nachkommen dann für Über-
raschungen sorgen können. Zum anderen sind manche Varianten direkt oder indirekt an Aspekte von Gesundheit und Wohlbefinden betroffener Pferde geknüpft. Zudem bestehen Zusammenhänge zwischen bestimmten Farbvarianten und der Augen- bzw. Hautfarbe der Pferde und auch dies kann Einfluss auf die Lebensqualität eines Pferdes nehmen. Eine sehr hell gefärbte Iris etwa lässt vergleichsweise mehr Licht ins Augeninnere, was zu einer höheren Lichtempfindlichkeit betroffener Pferde führen kann. Unpigmentierte Haut ist an dünn behaarten oder unbehaarten Stellen dem Sonnenlicht schutzlos ausgesetzt, es kann hier zu schweren Sonnenbränden kommen. Mit dem Greying-Gen (Träger werden dunkel geboren und verlieren mit den Jahren die Pigmentierung ihrer Haare) direkt verknüpft ist ein hohes Risiko, in höherem Alter Melanome auszubilden, der typische „Schimmel-Krebs“ von Apfelschimmel und Co. Weitere Verknüpfungen von Fell-/Langhaarfarbe und Gesundheit betreffen etwa den Sehsinn (z. B. Nachtblindheit beim Tigerschecken-Komplex, schwere Störungen der Augengesundheit – MCOA – in Verbindung mit dem Silver-Gen bei windfarbenen Pferden) oder Hörsinn und können sogar über die Lebensfähigkeit von Fohlen entscheiden. Von bestimmten Farbgenen nimmt man nämlich an, dass sie bei doppeltem Auftreten zum frühen Tod der Frucht führen.

Drei Grundfarben, viele Varianten
Wir wissen heute: Es gibt beim Pferd drei Grundfarben, Fuchs, Brauner und Rappe. Sie entstehen durch das Zusammenspiel von nur zwei Genen, dem Agouti-Gen und dem Extension-Gen. Hinzu kommen aber zahlreiche Möglichkeiten, wie diese Grundfarben verändert werden, indem weitere Gene Einfluss auf die Pigment produzierenden Zellen (Melanozyten) und damit auch auf die von diesen Zellen produzierten dunklen und hellen Pigmente (Eumelanin und Phäomelanin) nehmen.
Bei den Grundfarben scheint die Farbvererbung noch recht übersichtlich und simpel: Weist das Erbgut eines Pferdes ein (Ee) oder zwei (EE) funktionierende Allele des Extension-Gens auf, produzieren die Melanozyten das dunkle Farbpigment Eumelanin, während ohne ein solches Gen (ee) nur das helle Phäomelanin gebildet wird: Ein ee-Pferd ist immer ein Fuchs, ein Ee-Pferd und ein EE-Pferd können braun oder schwarz sein – das wiederum hängt vom Agouti-Gen ab, das den Transport des Eumelanins und damit die Farbverteilung über die Oberfläche des Pferdes steuert. Unter seinem Einfluss (AA oder Aa) entsteht ein Brauner, dessen Körperfarbe überwiegend braun und nur an den „Körper-enden“ – Kopf und Ohren, Mähne und Schweif, Gliedmaßen – schwarz ist. Fehlt der Einfluss des Agouti-Gens, kann sich das schwarze Eumelanin ungestört über die ganze Körperoberfläche verteilen: Das Pferd ist ein Rappe.
Viele weitere Gene können diese Grundfarben beeinflussen, durch Veränderung der Lebensdauer, der Produktivität oder des Verteilungsmusters der Melanozyten, die Pigment produzieren. Es entstehen all die Variationen, die wir kennen, mit unterschiedlichen Scheckmusterungen und Aufhellungen – je nachdem, welche Mutation auf welche Grundfarbe trifft und ob möglicherweise mehrere Mutationen Einfluss nehmen. Aufhellende Mutationen können die Grundfarbe so verändern, dass sie nicht mehr sicher erkennbar ist; zudem sind die verschiedenen aufhellenden Varianten nicht immer zu unterscheiden. Sinngemäß gilt dies auch für Scheck-Varianten: Welche Gene hinter einer bestimmten Scheckung stehen, kann oft nur ein Gentest zweifelsfrei feststellen und auch herausfinden, ob ein nicht geschecktes Pferd trotzdem Träger einer Veranlagung für Scheckung ist.
Auch bei Gentests zur Farbvererbung geht es also um den Unterschied zwischen Genotyp und Phänotyp und darum, äußerlich nicht sichtbare, aber in den Chromosomen fixierte Informationen aufzudecken. Hinter solchen Tests steckt aber häufig auch eine die Erbgesundheit betreffende Fragestellung, wie bereits erwähnt. Inzwischen ist das Wissen um die Genetik hinter bestimmten Farbvarianten und etwaige Auswirkungen auf die Gesundheit weit verbreitet und insbesondere bei den Zuchtverbänden im Fokus. Entsprechende Gentests vor einer Anpaarung erhöhen nicht nur die „Treffsicherheit“ bezüglich erwünschter Ergebnisse bei der Nachzucht, sondern tragen auch zu deren Erbgesundheit bei.

Wissen, was wird…
Es gibt inzwischen sogar Gentests für weitere relevante Eigenschaften mit genetischer Grundlage: Größe, Geschwindigkeit, Gangveranlagung oder „Lenkbarkeit“ im Sinne guten Lernvermögens. Solche Tests zielen zwar auf bestimmte Aspekte der Leistungsfähigkeit eines Pferdes im Sport ab, Ergebnisse erlauben aber keine definitive Aussage über den Phänotyp und damit auch auf den sportlichen Erfolg oder dessen Ausbleiben – wie sich ein Pferd am Ende entwickelt, hängt eben nicht nur von seiner genetischen Ausstattung ab, sondern auch von den Rahmenbedingungen seines Lebens. Diese Merkmale unterliegen hoher Plastizität… Es geht eher um eine Entscheidungshilfe: Wird dieses Pferd voraussichtlich groß genug für den vorgesehenen Einsatz, wenn die Rahmen-bedingungen – etwa die Fütterung – das Größenwachstum ebenfalls unterstützen? Wird aus diesem Pferd eher ein Sprinter oder ein Steher – soll ich es also für kurze oder für lange Strecken trainieren? Die Ergebnisse helfen auch dabei, Anpaarungen besser zu koordinieren: Wer große Warmblüter züchtet, wird Anpaarungen von Pferden mit„kleinem“ Genotyp vermeiden wollen, da deren Nachkommen mit hoher Wahrscheinlichkeit sprichwörtlich unter den Erwartungen liegen werden. Mit Hilfe eines entsprechenden Tests lässt sich zudem der „genetische Hufabdruck“ eines jeden Pferdes bestimmten, sein individuelles, unveränderliches und unverwechselbares DNA-Profil. Manche Zuchtverbände verlangen ein solches Profil zwingend, doch auch unabhängig davon kann es sich als nützlich erweisen, die DNA-Identität eines Pferdes erstellen zu lassen: Es lässt sich fortan auch ohne Mikrochip zweifelsfrei identifizieren, wenn es etwa gestohlen und später wiedergefunden wurde, und die Ergebnisse können zudem eine Rolle spielen, wenn es Unsicherheit bezüglich einer Abstammung gibt. Liegen von den Elterntieren wie auch vom Nachkommen DNA-Profile vor, können Wissenschaftler zweifelsfrei feststellen, ob die erwartete verwandtschaftliche Beziehung besteht oder eben nicht.

Zukunftsmusik
Wohin geht die Reise, was können wir an wissenschaftlichen Erkenntnissen noch erwarten? Eine Ahnung entwickelt sich beim näheren Blick auf die Tabelle in der bereits erwähnten Datenbank omia.org. Die Gesamtliste für das Pferd enthält inzwischen 254 Einträge zu Merkmalen bzw. Störungen. Die jüngste Veränderung (Stand 03.08.2022) betrifft eine Erbkrankheit, die hier „kyphoscoliotic Ehlers-Danlos syndrome (kEDS), PLOD1-related in Equus caballus“ genannt wird – das sagt uns erst einmal nichts. Lässt man sich die verfügbare Information anzeigen, entdeckt man: Es handelt sich hierbei um das Fragile Foal Syndrome (FFS), das ursprünglich Warmblood Fragile Foal Syndrome (WFFS) genannt und später umbenannt wurde, als diese Störung auch in anderen Rassen als dem Warmblut (Vollblut, Appaloosa, Quarter Horse) entdeckt wurde. Aufgrund der Parallelen zum Ehlers-Danlos-Syndrom des Menschen wird es in dieser Datenbank entsprechend bezeichnet. Seit 2013 gibt es einen Gentest zum Nachweis dieser Erkrankung, zwei Jahre, nachdem erstmals über die Mutation berichtet wurde. Direkt darunter in dieser chronologischen Liste steht der „Augenkrebs“ (Squamous Cell Carcinoma), der ursprünglich vor allem beim Haflinger verbreitet zu sein schien. Die Mutation wurde 2017 erstmalig nachgewiesen und konnte inzwischen auch bei vielen anderen Rassen entdeckt werden, darunter Belgisches Kaltblut, Appaloosa, Connemara Pony und andere Ponyrassen aus Großbritannien, Tinker. Ein kommerziell verfügbarer Gentest wurde inzwischen bereits entwickelt, wird aber eher selten nach-gefragt, weil das Problem noch recht wenig bekannt ist – obwohl wir wissen, dass ein Pferd mit zwei Kopien der Mutation ein fünfmal höheres Risiko hat, an diesem Augenkrebs zu erkranken! Und so wird weiter geforscht – um die genetische Landkarte unserer Pferde immer besser, immer detaillierter zu erstellen, um sicherer zwischen genetisch bedingten Merkmalen und Umwelteinflüssen unterscheiden zu können, um Störungen zweifelsfrei als genetisch bedingt zu identifizieren und um letztlich jedem Pferdebesitzer auch die Mittel an die Hand geben zu können, mit dem genetischen Erbe der eigenen und künftigen Pferde verantwortlicher umgehen zu können…

Text und Foto: Angelika Schmelzer