Hufrehe
Ein Problem, viele Ursachen
Entweder hat man selbst bereits leidvolle Erfahrungen damit gemacht oder aber man kennt jemanden, der jemanden kennt – die Hufrehe gehört wohl zu den am weitesten verbreiteten Erkrankungen unserer Pferde. Zugleich bleibt sie rätselhaft, trotz aller Erkenntnisse, die wir inzwischen über Ursachen, Verlauf, Therapie, Prognose und Prophylaxe gesammelt haben. Sie scheint aus dem Nichts zu kommen und dem Leben unserer Pferde die Grundlage zu entziehen. Und oft genug ist sie gekommen, um zu bleiben…
„Hufrehe“ – oder besser, „Laminitis“ – beschreibt im Grunde eher ein Symptom als eine eigenständige Erkrankung, so ähnlich, wie wir Pferdefreunde das von den Koliken unserer Pferde kennen. Auch die Laminitis, die Entzündung der Huflederhaut, kann wie eine Kolik durch sehr viele und völlig unterschiedliche Grundprobleme verursacht werden und äußert sich doch in einem zentralen, typischen Symptom. Das macht natürlich die Vorbeugung entsprechend schwierig, weil so vieles zu bedenken ist. Allerdings mehrt sich das Wissen um diese Erkrankung kontinuierlich und so steigen auch unsere Chancen, unsere Pferde ein Leben lang von dieser so schmerzhaften und oft langwierigen Erkrankung zu bewahren. Denn der Prophylaxe kommt eine ganz entscheidende Rolle zu und sie ist der beste Ansatzpunkt zur Bekämpfung. Was sollte der Pferdefreund wissen, um seine Pferde vor einer Hufrehe zu bewahren oder aber im Notfall sofort und richtig zu reagieren?
Ganz schön eng hier!
Laminitis – das „-itis“ bedeutet, dass wir es mit einer Entzündung zu tun haben, und jeder kennt die typischen Anzeichen einer Entzündung: Die betroffene Region wird stärker durchblutet, sie wird dadurch warm (calor) und rötet sich (rubor, beim Pferd meist nicht zu erkennen). Sie schwillt an (tumor), sie schmerzt (dolor). Was auch immer ihre Aufgabe ist, funktioniert nicht mehr richtig (functio laesa). Diese fünf klassischen Entzündungszeichen können über die betroffene Region hinaus das Allgemeinbefinden des Patienten beeinflussen, etwa durch Fieber oder eine Minderung seiner Lebensqualität infolge der Schmerzhaftigkeit. Schauen wir uns die anatomischen Verhältnisse im Huf einmal genauer an wird sofort klar, dass eine Entzündung ausgerechnet hier besonders gravierende Folgen hat: Es ist nämlich einfach sehr eng!
Die entscheidende Struktur ist die enge Verbindung zwischen der Horn-kapsel und dem Hufbein. Damit Knochen und Horn überall eng aneinander haften und trotzdem ein gewisses Maß an Flexibilität zur Funktion des Hufmechanismus gewährleistet ist, verfügt die Huflederhaut außen und die Hornkapsel innen, also an den jeweiligen Kontaktflächen, über feinste, ganz regelmäßige Unebenheiten, die ineinander greifen – am ehesten vergleichbar mit einem Klettverschluss. So werden die beiden Anteile fest, aber nicht starr miteinander verbunden – stellen Sie sich eine Hand in einem engen Handschuh vor, wobei Hand und Handschuh überall durch einen Klettverschluss fest miteinander im Kontakt sind. So. Sitzt, hält, wackelt nicht. Aber dann lassen Sie die Hand mal gedanklich anschwellen… Autsch! Es wird sehr unangenehm, sehr eng, und der Klettverschluss kommt in Not. Schon lösen sich erste Verbindungen… Eben das passiert bei einer Laminitis und deshalb ist eine Entzündung innerhalb der Hornkapsel so gravierend. Infolge der engen Platzverhältnisse haben die typischen Entzündungszeichen besonders schlimme Folgen: Durch den enormen Druck treten sehr starke Schmerzen auf, die Integrität der „Verklebung“ ist akut gefährdet, die Haftung nimmt durch austretende Entzündungsprodukte ab – Huflederhaut und Hornkapsel werden regelrecht auseinander gedrückt. Die Verbindung löst sich…
Und jetzt kommt ein weiterer Faktor ins Spiel: Die Tiefe Beugesehne setzt hinten-unten am Hufbein an und kann nun durch ihren permanenten Zug bei schlechter werdendem „Klettverschluss“ das Hufbein ganz allmählich weiter aus der Verbindung lösen und rotieren. Es wird hinten angehoben, senkt sich vorne ab und seine Spitze kann sogar, wenn es richtig schlecht läuft, durch die Hornsohle treten: ein Hufbeindurchbruch.
Entzündungen im Bereich der Huflederhaut müssen also unbedingt verhindert werden. Kommt es doch einmal zu einer Hufrehe, ist dies ein Notfall. Hier muss sofort tierärztliche Hilfe angefordert werden!
Gut gemeint, schlecht gemacht
Wie kommt es zu einer Laminitis – wie entstehen diese Entzündungen im Huf überhaupt? Dazu muss man wissen, dass eine Entzündung im Grunde eine wichtige und für den Organismus nützliche Reaktion auf schädliche Einflüsse ist. Die Entzündungsreaktion läuft automatisch ab und nicht selten aus dem Ruder: Es kann passieren, dass der Körper durch die Entzündungsreaktion mehr Schäden verursacht als der eigentliche Auslöser. Entzündungen können auf ganz unterschiedliche schädliche Reize zurückzuführen sein: physikalische Wirkungen wie Kälte, Hitze oder Druck, Infektionen durch Bakterien, Viren und Pilze, chemische Stoffe wie etwa Säuren oder Laugen, aber auch durch körpereigene Stoffe oder Entgleisungen bestimmter Prozesse im Organismus. Sehr unterschiedliche Auslöser führen zu einer Reaktion des Immunsystems, die eigentlich der Schadensbegrenzung dient: Botenstoffe greifen vor allem am lokalen Blutgefäßsystem an, stellen die Gefäße weiter und machen sie durchlässiger für Blutplasma, sodass dieses aus der Blutbahn in das umgebende Gewebe eintritt. Die Antwort des Immunsystems auf eine Bedrohung hat aber auch andere Folgen, etwa für die Blutgerinnung.
Aus einer im Grunde richtigen und wichtigen Reaktion des Körpers auf eine Bedrohung wird bei einer Hufrehe – nicht zuletzt durch die besonderen, komplexen anatomischen Verhältnisse – eine akute Gesundheitsstörung, die von der eigentlichen Ursache abgekoppelt abläuft und mittel- bis langfristig sogar das Leben des Patienten in Gefahr bringt.
Die Entzündungsreaktion versucht, ein Problem in den Griff zu bekommen, den Körper vor Schaden zu bewahren und erreicht im Grunde genau das Gegenteil. Gut gemeint, schlecht gemacht…
Ein Problem, viele Ursachen
Man hat bislang eine ganze Reihe von Auslösern einer Hufrehe-Erkrankung gefunden, wobei die zugrundeliegenden Mechanismen nicht immer klar sind. Die Vielzahl an potentiellen Ursachen wirkt verwirrend, fällt es doch schwer, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Die Auslöser einer Hufrehe lassen sich der besseren Übersicht halber in mehrere Kategorien einteilen.
Die Ursache ist physikalischer Natur: In Frage kommen insbesondere mechanische Beanspruchung, Hitze, Kälte, physikalische Größen, die am Huf einwirken und dort Strukturen schädigen. In diese Kategorie fällt die Belastungsrehe, ausgelöst etwa durch Bewegung auf hartem Boden (früher bei Kutschpferden ein Problem). Sie kann auch indirekte Folge einer Verletzung sein, wenn das Pferd infolge einer Lahmheit ein Bein schont und die Last des Körpers sich dann nicht auf vier, sondern nur auf drei Beine verteilt. Mängel in der Hufversorgung stören die normalen Abläufe im Huf und können so ebenfalls Rehe auslösend wirken. Berichtet wird auch von Hufrehefällen, die durch extreme Hitze (falsches Aufbrennen beim Hufbeschlag) oder Kälte (dauerhafte Exposition bei extremer Kälte, evtl. gepaart mit Unbeweglichkeit = einschneien!) ausgelöst wurden. Schließlich kann Rehe wohl auch durch einen dauerhaften Mangel an Bewegung ausgelöst oder begünstigt werden, da es dann wohl aufgrund einer Mangeldurchblutung des Hufes initial zu Schäden an der Huflederhaut kommt, die durch einen Sauerstoffmangel entstehen.
Die Auslöser sind im Bereich des Stoffwechsels zu suchen: Bei bestimmten Stoffwechselentgleisungen gehört eine Hufrehe zu den möglichen, häufiger auftretenden Symptomen oder Folgen. Beim Equinen Metabolischen Syndrom (EMS), beim Equinen Cushing-Syndrom (ECS, auch Pituitary Pars Intermedia Dysfunction, PPID) wie auch bei der Hyperlipidämie sind zentrale Funktionen im Zucker- bzw. Fettstoffwechsel gestört. Neben vielen anderen Symptomen kann auch eine Hufrehe ausgelöst werden. Die Hufrehe ist dann Folge einer Grund-erkrankung, die mit dem Huf selbst eigentlich nichts zu tun hat.
Die Hufrehe wird durch Gifte ausgelöst: Diese können von außen einwirken (bestimmte cortisonhaltige Medikamente, Herbizide, Giftpflanzen, Schlangenbisse, …) oder im Körper selbst gebildet werden. Dazu gehören die Geburtsrehe, verursacht durch eine Nachgeburtsverhaltung, und das weite Feld der fütterungsbedingten Hufrehe. Dabei ist nicht unbedingt das Futter selbst das Gift, vielmehr können bestimmte Fütterungsfehler dazu führen, dass im Dickdarm Endotoxine freiwerden. Und dieser Teilbereich interessiert den Pferdefreund am meisten, lässt sich doch hier wenigstens effektiv vorbeugen!
Es gibt neben diesen üblichen Verdächtigen auch einige andere Faktoren, die diskutiert werden: So scheinen auch die Rassezugehörigkeit und Übergewicht eine Rolle zu spielen. Bakterielle Infektionen (Borreliose!) können zu einer Hufrehe führen. Heiß diskutiert wird ein Ungleichgewicht zwischen bestimmten Enzymen (Matrix-Metalloproteinasen), die (auch) für den korrekten Halt zwischen Hornkapsel und Huflederhaut zuständig sind. Berichtet wird auch von Fällen, bei der die rasche Aufnahme großer Mengen kalten Wassers eine Hufrehe auslöste.
Unter all diesen und möglicherweise noch mehr Auslösern treten die fütterungsbedingten Rehe-Fälle statistisch gesehen am häufigsten auf, gleichzeitig lässt sich ihnen besonders gut vorbeugen. Zudem spielt die Ernährung auch bei anderen Rehe-Ursachen wie EMS und ECS eine ganz zentrale Rolle.
Krank gefüttert
Ursprünglich glaubte man zu wissen, dass eine über den Bedarf hinausgehende Eiweißversorgung der eigentliche Verursacher einer Hufrehe ist…
Hier den kompletten Artikel weiterlesen.
Text und Foto: Angelika Schmelzer