Unklaren Lahmheiten auf der Spur
Sensorunterstützte Lahmheitsdiagnostik
Wenn ein Pferd unklar geht, fällt es manchmal sogar dem Experten schwer zu sagen, wo die Lahmheit genau liegt und ob nicht sogar mehrere Beine betroffen sind. In einigen Pferdekliniken setzt man in diesen Fällen auf die unterstützte Lahmheitsdiagnostik.
Die Idee, mittels Sensoren hinter unklare Lahmheiten zu kommen, ist im Grunde nichts Neues. Seit mehreren Jahrzehnten wird daran bereits geforscht. Zur Praxistauglichkeit hat sich die Technologie mit Bewegungssensoren entwickelt: Bei dieser Methode werden spezielle Sensoren aus der Industrie verwendet, um über deren Messwerte die Auf- und Abbewegung bestimmter Messpunkte am Pferdekörper digital zu erfassen.
„Die Bildauflösung des menschlichen Auges bzw. Gehirns liegt bei zehn bis 15 Einzelwahrnehmungen pro Sekunde“, so Dr. Christian Bingold. „Die Elektronik kann viel mehr Messungen pro Sekunde leisten und hat damit eine wesentlich höhere Auflösung. Das menschliche Auge erfasst auch immer nur einzelne Tritte, die Software kann aus einer Vielzahl von Tritten ein Gesamtergebnis errechnen.
Dieses lässt sich auf verschiedene Weise darstellen – unter anderem als Kurve, die beim gesunden Pferd symmetrisch ist, beim lahmenden Pferd jedoch nicht.“ Aus der Asymmetrie ergibt sich, welche Gliedmaßen weniger belastet, also geschont werden bzw. schmerzhaft sind. Mit Erfahrung kann man aber wesentlich mehr Informationen aus den Messwerten ableiten als nur, auf welchem Bein das Pferd lahmt.
„Bei sehr geringer oder schwankender Lahmheit kann die Technik sehr hilfreich sein“, so Dr. Bingold. „Insbesondere dann, wenn ein Patient beim Vorführen nicht in der Bewegung konstant und die Lahmheit nur sehr gering ist. Gerade bei Hengsten ist das der Fall, wenn deren Aufmerksamkeit mehr auf der Umgebung liegt als auf dem Vorführer.“ Bingold sieht dieses Diagnosewerkzeug in solchen Fällen als wertvollen Baustein in der Lahmheitsdiagnostik. Allerdings: Alleine damit geht es sicherlich nicht. „Wenn ein Patient wegen unklarer Lahmheit vorgestellt wird, erfolgt zunächst die klinische Untersuchung.
Durch Anschauen und Abtasten des Pferdes kann der Behandler bereits wichtige Rückschlüsse ziehen oder auch mögliche Ursachen ausschließen. Erst wenn die Lahmheit mit dem menschlichen Auge nicht sicher erfasst werden kann – ob sie vorn oder hinten sitzt oder gar hin und her wechselt – kommen die Sensoren zum Einsatz. Wenn das geklärt ist, geht es weiter mit der üblichen Diagnostik wie Anästhesien, Röntgen, Ultraschall etc.“
Für die Pferde stellt diese Untersuchungsmethode keinen zusätzlichen Stress dar. Sie müssen vielleicht ein paar Tritte mehr traben, aber sonst ändert sich nichts. Mindestens 25 Tritte sind für eine Messreihe erforderlich. Die Untersuchung kann grundsätzlich auch ambulant erfolgen, also im heimatlichen Stall. Da es sich aber in solchen Fällen in der Regel um kompliziertere Probleme handelt, wird man derartige Lahmheiten eher in der Klinik untersuchen.
Ähnlich wie beim Ultraschall braucht es aber auch hier einen erfahrenen Untersucher, um die Kurven und Diagramme, die der Computer aus den Messwerten der Sensoren errechnet, korrekt zu interpretieren.
„Eine Diagnose spuckt der PC trotz aller künstlichen Intelligenz leider immer noch nicht aus“, so Dr. Bingold, „dazu braucht es bis auf Weiteres den Menschen.“
Text: Ramona Billing, fachliche Beratung: Dr. med. vet. Christian Bingold, Foto: Pferdeklinik Großostheim