Werkzeug für Raufutter-Spezialisten: Die Zähne
Wissenschaftler können aus der arttypischen Anatomie der Zähne detaillierte Rückschlüsse auf die Ernährungsgewohnheiten einer Art ziehen. Menschliche und Pferdezähne im Vergleich zeigen zahlreiche Unterschiede, die sich aus den jeweiligen „Futtergrundlagen“ erklären.
Kenntnisse der Zahnanatomie des Pferdes sind für den Pferdehalter unerlässlich.
Während der menschliche Zahn von einem harten, gleichmäßigen Überzug nach allen Seiten umschlossen ist, wirkt der Pferdezahn zumindest in der Kaufläche seltsam wellenförmig, unregelmäßig. Wir Menschen wünschen uns gerade, aufrecht stehende Zähne, aber in einem Pferdegebiss wäre genau das fehl am Platz. Diese und viele weitere Aspekte der Zahnanatomie weisen unsere Pferde ganz klar als Spezialisten für die Nutzung von grob strukturiertem Raufutter aus. Und manche Details sind auch für den Pferdefreund von großer Bedeutung…
Mahlwerk fürs Grobe
Dass Pferdezähne richtig gut quetschen und mahlen können, weiß, wer einem Pferd schon einmal so richtig auf den Zahn gefühlt hat. Das oft spärliche, holzige Gras der Steppen, dazu ein paar Ähren, etwas Baumrinde und andere Pflanzenkost verlangen nach einem gründlichen Aufschluss, und der muss in der Maulhöhle beginnen. Die aufgenommene Kost muss sorgfältig zerrieben und dabei durchsaftet werden, um so die weiteren Verdauungsvorgänge zu ermöglichen. Sieht man sich vor allem die Kauflächen der Pferdezähne einmal ein wenig genauer an, zeigen deren Strukturen einen sichtbaren Unterschied zu der gleichförmig gestalteten und nur mit leichten Falten ausgestatteten Zahnoberseite eines Menschenzahns. Zwar werden für beide Varianten dieselben Materialien und Bauweisen verwendet, doch anders als der des Menschen ist der Pferdezahn ein „Fachidiot“, der nur eines kann, das aber besonders gut: Raufutter zermahlen.
Aufbau eines Pferdezahns
Betrachtet man die Einbettung eines Zahns im Pferdemaul, lassen sich drei Segmente unterscheiden: Die Zahnkrone ragt aus dem Kiefer, im Zahnhals erfolgt der Übergang für den unterhalb des Zahnfleischrandes steckenden Bereich, die Zahnwurzel. Während die Schneidezähne je nur eine Wurzel haben, sind Backenzähne mit zwei oder gar vier Wurzeln im Kiefer verankert.
Sieht man sich die Substanzen, aus denen ein Zahn besteht, näher an, wird es richtig interessant. Die Gemeinsamkeiten sind trotz der optischen Unterschiede überraschend groß, denn bei Pferd und Mensch hat Mutter Natur auf die gleichen Baumaterialien zurückgegriffen: Der Zahnschmelz ist die härteste Substanz des Körpers. Er besteht aus Hydroxylapatit, einem kristallinen Material, in dem vor allem Calcium und Phosphor verbaut sind. Gebildet wird es von spezialisierten Zellen, den Adamantoblasten. Darin steckt das altgriechische Wort für „unbezwingbar“. Der Zahnschmelz gibt dem Zahn seine Stabilität und Abriebfestigkeit.
Nicht ganz so hart ist das Zahnbein oder Dentin. Auch im Zahnbein sind Calcium und Phosphor verbaut, es ist aber aufgrund eines relativ hohen Anteils an Wasser und Proteinen (also organischer Substanz) im Vergleich zum Zahnschmelz weicher und elastischer. Das Dentin bildet quasi den Körper des Zahnes.
Das dritte Baumaterial ist der Zement. Er weist viele Übereinstimmungen mit der Knochensubstanz auf und besteht wie Dentin aus einem anorganischen Anteil, in dem viele Mineralien verbaut sind, organischem Gewebe und Wasser. Beim Pferd bildet der Zement die äußere Schicht, deshalb sind Pferdezähne auch im sauberen Zustand nicht überall so schön weiß wie gut gepflegte Menschenzähne.
Geschützt im Inneren und umhüllt von den harten Zahnsubstanzen liegt in der Pulpahöhle die Zahnpulpa, auch Zahnmark genannt. Die Zahnhöhle reicht bis in die Wurzelspitzen und ist mit Bindegewebe ausgefüllt. Über die Zahnwurzel(n) treten Blutgefäße und Nervenfasern in den Zahn ein.
Gleiches Baumaterial, unterschiedliche Anatomie
Die Zähne von uns Menschen sind vergleichsweise einfach aufgebaut. Was wir sehen, ist der Zahnschmelz, der die Zahnkrone oberhalb des Zahnfleischrandes überzieht. Darunter liegt das Dentin mit der Pulpahöhle in der Mitte, und der Zahnzement verankert den Zahn in seinem Fach.
Beim Pferd ist der Aufbau ungleich komplizierter und vor allem auf der Kaufläche sieht es ziemlich durcheinander aus. Das rührt von einer Besonderheit aller Pferde her, den Schmelzeinstülpungen: Im Bereich der Kaufläche, also an der jeweiligen Zahnoberseite, faltet sich der Schmelzüberzug im Oberkiefer bis 12 mm, im Unterkiefer bis 6 mm ins Zahninnere hinein. So entsteht auf der Zahnoberseite ein unregelmäßiges Muster aus den drei Substanzen Schmelz, Zement und Dentin. Der harte Zahnschmelz bildet also keine gleichmäßige Oberfläche, wie sie für ein Zerquetschen der Nahrung günstig wäre, sondern zahlreiche Leisten, die durch die typischen mahlenden Kaubewegungen des Pferdes die grob strukturierte Nahrung nicht nur quetschen, sondern vor allem sehr effektiv zermahlen.
Der Zahnzement überzieht beim Pferd auch oberhalb des Zahnhalses den Zahn, sodass wir eine typische Schichtung (von außen nach innen) von Zahnzement, Zahnschmelz und Dentin finden. Durch die Schmelzeinstülpungen sieht man beim jungen Pferd dann an den Schneidezähnen eine grubige Vertiefung aus Zahnschmelz, Kunde genannt, die ebenfalls dem Abrieb unterliegt und so mit dem Alter allmählich weniger tief wird und schließlich ganz verschwindet.
Gebiss mit langem Atem
Bei jedem Mahlvorgang kommt es unweigerlich zu einer Abnutzung, einem Abrieb der Zähne. Jährlich beträgt die Abnutzung 2-3 mm, und doch scheint es lange so, als blieben die Zähne immer gleich lang. Deshalb hält sich hartnäckig das Gerücht, Pferdezähne wüchsen ein Leben lang nach. Die Wirklichkeit ist aber noch viel spannender…
Pferdezähne sind unheimlich lang und nur ein kleiner Teil ragt aus dem Zahnfleisch hervor. Der größte Teil des Zahnes ist unsichtbar unterhalb des Zahnfleischrandes im Kiefer eingebettet, wobei die Wurzeln insbesondere der Backenzähne sehr geschickt fächerförmig aufgereiht leicht nach hinten weisen.
So wird der Platz optimal genutzt.
Unterhalb der Krone, also des über das Zahnfleisch hinausragenden Teils eines Zahnes, liegt nun die Reserve, passenderweise „Reservekrone“ genannt. Ungefähr in dem Maß, wie sich die Krone im Bereich der Kaufläche abnutzt, wird der Zahn von der Wurzel her auch stetig ein Stück nach oben geschoben. Da so ein Backenzahn beim Abschluss des Wachstums – bei einem etwa sechsjährigen Pferd – gut 10 cm Länge hat, ist also für viele Jahre vorgesorgt.
So wird der Platz optimal genutzt.
Auch den grundlegenden Aufbau des Gebisses teilen Mensch und Pferd: Ein Oberkiefer, ein Unterkiefer, je eine Zahnreihe rechts, eine links, gibt hier wie dort vier Quadranten. Pro Quadrant finden wir beim voll ausgebildeten Gebiss des erwachsenen Pferdes je drei Schneidezähne und sechs Backenzähne, dazwischen beim männlichen Pferd jeweils einen Hengstzahn (auch Hakenzahn genannt) und bei manchen Pferden direkt vor dem ersten Backenzahn die meist nur rudimentär ausgebildeten, oft verborgenen Wolfszähne.
Typisch für das Pferd ist eine lange Lücke zwischen den Schneidezähnen und den Backenzähnen, Diastema (Lade) genannt. Zählt man alle Zähne zusammen, ergibt sich eine Summe von mindestens 36 Zähnen (wenn pro Quadrant nur drei Schneidezähne und sechs Backenzähne angelegt sind) und höchstens 44 Zähnen (wenn je Quadrant noch ein Wolfszahn und ein Hengstzahn hinzukommen).
Das Milchgebiss wird vom jungen Pferd bis zu einem Endstand von insgesamt 24 Zähnen (alle Schneidezähne und je Quadrant drei Backenzähne, also sechs Zähne pro Quadrant) ausgebildet und ab einem Alter von etwa zweieinhalb Jahren gewechselt, wobei der Zahnwechsel erst mit knapp fünf Jahren abgeschlossen ist.
Text und Foto: Angelika Schmelzer