Auf der Suche nach den Wohlfühlfaktoren

„I feel good!”

Was kann ich tun, damit sich mein Pferd wohlfühlt? Und wie erkenne ich, dass es seelisch und körperlich in Balance ist? Die meisten Pferdebesitzer stellen sich diese Fragen, denn immer mehr legen Wert auf gesunde, möglichst artgerechte Haltung. Die Ethologie und neue wissenschaftliche Studien geben wichtige Hinweise, um Gesundheit und Wohlbefinden in der Pferdehaltung richtig einzuschätzen. 

Die gute Nachricht vorweg: Es hat sich viel zum Positiven verändert! In den vergangenen Jahrzehnten gab es mehr bedeutende Veränderungen in der Pferdehaltung als je zuvor – angefangen beim Verbot der „I feel good!”Anbindehaltung über das Gestalten pferdefreundlicherer Einzelhaltung mit Paddock und Weidegang bis zum Bau sogenannter Aktivställe mit verschiedenen Funktionsbereichen.  

Doch eine Frage steht oft im Raum: Wo fühlt sich mein Pferd nun wirklich wohl? Befürworter des einen oder anderen Haltungsverfahrens sind sich sicher, die optimale Haltung für ihr Pferd zu kennen: Offenlaufstall ist gut, weil die Pferde Bewegung haben, Boxenhaltung ist schlecht, weil die Bewegungsmöglichkeiten beschränkt sind. Doch so einfach ist die Beurteilung der Pferdehaltung – vor allem unter dem Aspekt Wohlbefinden – nicht. Was ist mit dem Offenlaufstall, in dem viele Pferde nicht zur Ruhe kommen, zu wenig Schlaf bekommen?  

Manche Pferde in solch einem System sind nicht ausgeglichen, sondern schlicht übermüdet.  Mehr als nur das Haltungssystem sollten Pferdebesitzer daher die Rahmenbedingungen bzw. das Management betrachten: Wird der Betrieb durch qualifiziertes Personal geführt? Wie harmonisch ist die Zusammenstellung der Weidegemeinschaft? Wie gut sind Pflege und Gesundheitsmanagement der Tiere gewährleistet? Wie ist es um die hygienische Situation im Stall und Außenbereich bestellt? Und: Können die Pferde ihre Grundbedürfnisse ausleben? Letzteres ist ein gutes Stichwort für zwei Wissen-schaftlerinnen, die Ethologin Dr. Margit Zeitler-Feicht und die Tierärztin Dr. Miriam Baumgartner.  

Beide arbeiten seit 2013 federführend an der Entwicklung eines innovativen Bewertungssystems für Pferdehaltungen, welches so differenziert ist, dass nicht nur Schmerzen, Leiden und Schäden ausgeschlossen werden können, sondern auch das Wohlbefinden der Pferde objektiv überprüft und eingeschätzt werden kann. „Unser Ziel ist es, ein Bewertungssystem zu entwickeln, das als Beratungstool eingesetzt werden kann und darüber eine Verbesserung des Tierschutzes in der Pferdehaltung herbeizuführen“, sagt Projektleiterin Dr. Margit Zeitler-Feicht. Sie leitet die Abteilung Ethologie, Tierhaltung und Tierschutz am Wissenschaftszentrum Weihenstephan der Technischen Universität München. 

Die Grundbedürfnisse unserer Pferde und deren arttypische Verhaltensweisen sind laut Dr. Zeitler-Feicht in über 5.000 Jahren Domestikation weitgehend unverändert geblieben. Unabhängig von Rasse, Alter und Geschlecht gibt es daher Forderungen an die Haltung, die für alle Pferde gelten. Das sind: Sozialkontakte, rohfaserreiches Futter, Licht, Luft und Klimareize sowie freie Bewegung und pferdegerechte Ruhe- bzw. Liegebereiche. Diese Faktoren sind essentiell, denn: Die konsequente Nichterfüllung der Grundbedürfnisse führt nicht nur zur Beeinträchtigung des Wohlbefindens, sondern zu handfesten Zivilisationskrankheiten und Verhaltensstörungen, Zusammenhänge, die bereits durch zahlreiche wissenschaftlichen Studien belegt worden sind.  

Doch wie kann ich sicher sein, dass ich den richtigen Platz, den passenden Stall für mein Pferd gefunden habe? Wie sehr diese Frage Pferdebesitzer beschäftigt, spiegelt eine Umfrage der Deutschen Reiterlichen Vereinigung e.V. wider (FN 2016). 70 % von
21.000 Teilnehmern gaben an, dass sie sich eine intensivere Überprüfung der Pferdehaltungen wünschen.  

In jedem Fall müssen Pferdebesitzer und Betriebsleiter genau hinschauen, denn: „Pferde leiden stumm. Und Leistung ist kein Parameter für Wohlbefinden!“, gibt die Ethologin zu bedenken, das heißt, „Pferde können zwar theoretisch mit Futter und Wasser überleben, doch damit sie sich wohlfühlen, müssen zahlreiche weitere Voraussetzungen gegeben sein.“  

Hilfreich sei der Blick auf das arttypische Verhalten und ein Abgleich mit der Lebenswirklichkeit. Kann mein Pferd wirklich Pferd sein? Und was braucht es dazu? Die Verhaltensbiologie gliedert das arttypische Verhalten in sogenannte Funktionskreise, in denen beschrieben wird, welches Verhalten der Natur des Pferdes.  

Wer Pferde artgerecht halten möchte, kann die Anforderungen gut aus diesen Funktionskreisen ableiten. Dennoch bleibt es eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, denn „artgemäß ist eine Haltung nur dann, wenn das Pferd seine essenziellen Verhaltensweisen in allen Funktionskreisen äußern kann“, sagt Dr. Margit Zeitler- Feicht. „Defizite in einem Funktionskreis können nicht durch Optimierung eines anderen Funktionskreises kompensiert werden!“. Ausreichende Bewegung kompensiert beispielsweise nicht fehlende Ruhe, gutes Futter keine fehlenden Sozialkontakte. 

Sozialverhalten – Schule fürs Leben

Unter natürlichen Lebensbedingungen leben Pferde in sozialen Verbänden als Familien oder Hengstgruppen zusammen. Diese sozial organisierten Gruppen bestehen aus zwei bis maximal 22 Mitgliedern verschiedener Altersgruppen.  

In kleineren Gruppen ist die Rangfolge häufig linear. „Das Bedürfnis nach engem Sozialkontakt ist angeboren, wodurch sich Pferde nur in der Gemeinschaft sicher fühlen“, erklärt Dr. Margit Zeitler-Feicht.  

Das Leben in familiären Strukturen hat auch den Vorteil, dass Partner für die soziale Fellpflege zur Verfügung stehen. Gegenseitiges Beknabbern und Kraulen an Körperstellen, die das einzelne Pferd selbst nicht oder nur schwer erreicht, scheint wahre Nachbarschaftshilfe und Ausdruck großem Wohlbefindens.  

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass dieses Verhalten aber nicht nur soziale Bindungen festigt, sondern auch die Herzfrequenz senkt.  

Außerdem trägt es dazu bei, Stress abzubauen, wie verschiedene Studien an der TUM-Weihenstephan zeigen. Aus diesen Beobachtungen haben die Wissenschaftler abgeleitet, dass Fellpflege nicht ausschließlich Ausdruck von Wohlbefinden ist, sondern auch unter Stress gezeigt wird. Ein ideales Beispiel dafür, wie wichtig der Blick auf die Gesamtsituation in einem Haltungssystem ist. Gleiches gilt übrigens für das Spielverhalten. Dieses ist ebenfalls angeboren und wird unter naturnahen Bedingungen vor allem von Fohlen und heranwachsende Pferden ausgeübt. Kommen Pferde nur unregelmäßig oder für kurze Zeit auf die Weide oder in einen Auslauf, spielen auch erwachsene Pferde deutlich häufiger als in freier Natur. „Im Gruppenauslauf findet Spiel nicht nur bei Pferden statt, deren sonstige Bedürfnisse befriedigt sind, sondern dient auch dem Abbau von angestautem Bewegungsdrang, Aggressionen und Stress“, gibt Dr. Miriam Baumgartner zu bedenken. Während viele Pferdehalter begeistert sind, wenn ihre Pferde auf dem Paddock oder im Auslauf mit Artgenossen toben, rangeln oder zocken, stellten Dr. Margit Zeitler-Feicht und Dr. Miriam Baumgartner in ihren Studien fest, dass das Spielverhalten von erwachsenen Pferden kein eindeutiger Indikator für Wohlbefinden ist.  

Dazu Dr. Miriam Baumgartner: „Um Fellpflege oder Spielen als Kriterien eindeutig beurteilen zu können, müssen mehrere Einflussfaktoren berücksichtigt werden. Dazu gehören zum Beispiel Gesundheitszustand oder Platzangebot der Pferde. Unter ungünstigen Haltungsbedingungen kann das Sozialspiel auch dem Stressabbau dienen. Spielen allein ist somit nicht immer ein Indikator, dass es dem Pferd gut geht.“  

Eine gut gestaltete Gruppenhaltung scheint für Pferde ideal, orientiert sich diese doch am Vorbild der Natur. Doch um gesellschaftsfähig zu sein, müssen Fohlen und Jungpferde Sozialkompetenz lernen. Alle sozialen Verhaltensweisen sind zwar angeboren, doch das gegenseitige Verstehen dieser Ausdrucksformen muss erst erlernt werden. Dr. Zeitler-Feicht erklärt: „Pferde ohne ausreichende Sozialerfahrungen bleiben ihr ganzes Leben lang problematisch, sobald sie in engeren Kontakt zu anderen Pferden kommen.“  

Die Folge: Solche Pferde sind dann für eine Gruppenhaltung nicht geeignet, da das Leben in einer Gemeinschaft, die sie nicht verstehen, dauerhaft Stress bedeutet. Unter permanenter Anspannung steigt das Verletzungsrisiko für alle Beteiligten deutlich.  

Das heißt: Die Weichen für ein verhaltensgerechtes Leben in der Gruppe werden bereits mit der Aufzucht gestellt. Deshalb ist es für die soziale Entwicklung von Fohlen und Jungpferden unerlässlich, dass sie in – im Idealfall gemischtaltrigen – Gruppen oder Herden aufwachsen.  

Bei artgemäßem Sozialkontakt entwickeln sich Fohlen und Jungpferde zu sozialkompetenten Pferden und unkomplizierten WG-Partnern. 

Rohfaserreiches Futter – eine gute Basis

Ein weiterer Funktionsbereich beschreibt das arttypische Ernährungsverhalten. In freier Wildbahn waren Pferde einen Großteil des Tages, 12 bis 16 Stunden, damit beschäftigt, energiearme und rohfaserreiche Nahrung aufzunehmen. Der Magen-Darm-Trakt des Pferdes ist auf die kontinuierliche Nahrungsaufnahme eingestellt.  

Dabei bewegten sich die Tiere langsam im Schritt vorwärts. In wissenschaftlichen Studien wurde festgestellt, dass auch Pferde, die durch den Menschen versorgt werden und freien Zugang zum Futter haben, am Tag etwa zehn Portionen aufnehmen. So entstehen unter naturnahen Bedingungen keine langen Fresspausen. Wissenschaftler haben jedoch auch herausgefunden, dass Pferde ihr Fresstempo den Gegebenheiten anpassen, d.h. kürzere Grasungszeiten durch schnelleres Fressen ausgleichen. Die Dauer der Futteraufnahme lässt sich jedoch nicht beliebig verkürzen oder verlängern. Auch wenn die Nährstoffaufnahme noch nicht gedeckt ist, fressen Pferde über den
24-Stunden-Tag kaum länger als 18 Stunden am Tag, da dann auch andere essentielle Verhaltensweisen wie Ruhen ausgeübt werden müssen. 

Pferde haben also das Bedürfnis, täglich viele Stunden am Tag und in der Nacht zu fressen. Um Übergewicht zu vermeiden, eignen sich Maßnahmen, um die Fressdauer zu verlängern wie Heunetze, Sparraufen oder Raufen, deren Zugang über eine Zeitschaltuhr gesteuert wird.  

Aus organisatorischen Gründen werden Pferde in der Praxis überwiegend rationiert gefüttert, doch Fresspausen sollten nicht länger als vier Stunden dauern. Andernfalls steigt das Risiko für Magengeschwüre, Fehlgärungen aufgrund gestörter Dickdarmfermentation und Obstipation (Verstopfung). In der Stallhaltung kann dies durch die Gabe von Raufutter ad libitum erreicht werden. Grundlage der Pferdefütterung ist in jedem Fall hochwertiges Raufutter. Fütterungsexperten empfehlen als Richtwert die tägliche Menge von ca. 1,5 Kilogramm Heu je 100 Kilogramm Körpergewicht. Wie wichtig diese Versorgung ist, belegt eine Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen, in denen Raufuttermangel als Hauptursache von Verhaltensstörungen beim Pferd ausgemacht wurde. Verstärkt wird der Effekt noch, wenn die Pferde auf strohloser Einstreu gehalten werden. „Verhaltensauffälligkeiten treten bei rationierter Heuzuteilung und strohloser Haltung signifikant häufiger auf als bei Stroheinstreu“, haben Dr. Miriam Baumgartner und Mitarbeiter festgestellt.  

Sie ist wissenschaftliche Angestellte am Lehrstuhl für ökologischen Landbau am Wissenschaftszentrum Weihenstephan der Technischen Universität München und sagt: „Ohne spezielle Fütterungsmaßnahmen, wie zum Beispiel dem Angebot von Raufutter über Vorratsraufen oder zeitgesteuerten Futterautomaten, ist die Einzelhaltung von Pferden auf Sägespänen nicht tiergerecht!“ 

Selbstverständlich spielt nicht nur die Futtermenge eine Rolle, sondern auch die Qualität. Pferde sollten nur Raufutter in einwandfreier Qualität erhalten, nicht nur wegen ihres sensiblen Verdauungstraktes, auch zum Schutz der Atemwege.  

80 bis 90 % der Atemwegserkrankungen entstehen auf Grund von Feinstaubbelastungen in Kombination mit Schimmelpilzen in Einstreu und Futter. Daher ist eine möglichst staubarme Haltung und Fütterung ein Beitrag zur Gesunderhaltung und bei hustenden Pferden essentiell (s. auch PFERDE fit & vital Ausgabe 02/2018).  

Freie Bewegung

Das Bewegungsverhalten dient in erster Linie der Nahrungsaufnahme. Unter natürlichen Bedingungen bewegen sich Pferde über etwa 15 Stunden täglich grasend im Schritt. Diesem arttypischen Verhalten gegenüber steht die Tatsache, dass noch immer die ganztägige Haltung in Boxen verbreitet ist.  

„Etwa 70 % der Pferde werden noch in Einzelhaltung gehalten“, sagt Dr. Margit Zeitler-Feicht. Für das Lauftier Pferd bedeutet das häufig, 23 Stunden stehend zu verbringen, was im krassen Widerspruch zu seinem Grundbedürfnis nach ausreichend freier Bewegung steht und „auch die tägliche Nutzung als Reitpferd, meist für eine Stunde, kann das Bewegungsdefizit nicht kompensieren“, betont Margit Zeitler-Feicht.  

Die Folgen sind drastisch: Bewegungsmangel schlägt nicht nur aufs Gemüt, sondern ist auch Ursache für organische Erkrankungen wie Verdauungsstörungen, Atemwegserkrankungen und Herz-Kreislaufprobleme. Außerdem schränkt das lange Stehen den Lymphfluss, den Hufmechanismus sowie weitere Funktionen ein. 

Das Argument, ein Pferd würde durch das tägliche Reiten ausreichend bewegt, entkräftet die Ethologin: „Kontrollierte Bewegung beim Reiten beinhaltet nicht die gleichen Bewegungsabläufe wie die freie Bewegung, bei der die Fortbewegung im entspannten Schritt überwiegt, bei der aber auch überschüssige Energie und Verspannungen abgebaut werden können“, sagt Dr. Zeitler-Feicht.  

Daher könne kontrollierte Bewegung freie Bewegung nicht vollständig ersetzen. Umgekehrt gilt allerdings auch: Für eine gute Belüftung der Atemwege ist auch aus Sicht von Tierärzten gezielte Belastung notwendig. Die Mischung macht’s also. Das Bewegungsangebot für Pferde sollte sowohl ausreichend freie als auch kontrollierte Bewegung beinhalten.  

Komfortverhalten – wichtige Reize

Wälzen, Scheuern, Kratzen und gegenseitiges Fellkraulen zählen zum Funktionskreis Komfortverhalten. Die Aktivitäten dienen der Körperpflege und Hygiene, Klimareize regen zudem den Stoffwechsel an. Pferde verfügen über eine außerordentlich gute Thermoregulation. Bei Temperaturen zwischen fünf und 25°C halten sie ihre Körperinnentemperatur ohne großen Aufwand stabil. Wer Pferde in Weidehaltung oder Offen- bzw. Laufstallhaltungen beobachtet, stellt fest, dass die Tiere Unterstände aber nicht nur gerne aufsuchen, wenn die Temperaturen außerhalb dieser neutralen Zone liegen, sondern auch, um sich vor Insekten zu schützen.  

Diese folgen nämlich in der Regel nicht in den dunklen Stall bzw. Unterstand. Pferde sind zwar ursprünglich Steppentiere mit hohem Lichtbedarf, doch ein sicherer Rückzugsort ist ebenso wichtig und schützt bei entsprechender Sonneneinstrahlung beispielsweise auch die Pferdeaugen vor übermäßiger UV-Belastung.  

Ruhe- und Schlafverhalten

Über das Bedürfnis nach ausreichend Bewegung wird vielfach diskutiert und der Offenstall- oder Aktivstalltrend scheint in die richtige Richtung zu gehen. Viel freie Bewegung trägt zum Wohlbefinden bei, doch ebenso wichtig sind Erholungsphasen.  

Diesem Bedürfnis wird offensichtlich manchmal zu wenig Bedeutung beigemessen. Besonders, wenn Pferde aus der Boxenhaltung in einen Bewegungsstall umgestellt werden, überwiegt die Freude über die neugewonnene (Bewegungs-) Freiheit, vor allem bei den Pferdebesitzern: spielen, zocken, rennen, toben. Das Pferd scheint im Paradies. Doch bisweilen werden Rangstreitigkeiten als Spiel fehlinterpretiert und selbst Spiel ist, wie bereits beschrieben, nicht immer Ausdruck von Wohlbefinden.  

Verhaltensbeobachtungen in Offenstallhaltungen ergaben, dass auf den Betrieben mit der höchsten Aggressionsrate auch am meisten gespielt wurde. Es wurde beobachtet, dass die Mehrzahl der Spielvorgänge Kampfspiele waren, die im Fressbereich stattfanden (Handbuch Pferdeverhalten, Zeitler-Feicht 2015). Außer den baulichen Gegebenheiten und dem Platzangebot ist es bei derartigen Auffälligkeiten ratsam, auch die Gruppenkonstellation zu betrachten. Sind tatsächlich alle Mitglieder WG-tauglich? 

Dem großen Bewegungsdrang unserer Pferde steht ein ausgeprägtes Ruhebedürfnis gegenüber, das ebenfalls befriedigt werden muss. Arttypisch ruhen Pferde mehrmals am Tag, ausgewachsene Pferde etwa sieben Stunden – 80 % davon  im Stehen (BMEL 2009). Pferde können zwar im Stehen ruhen oder dösen, doch nur im Liegen findet der wichtige REM-Schlaf statt (REM = rapid eye movement). Fühlt sich ein Pferd unsicher oder unwohl, hat nicht genug Platz oder keinen verformbaren, trockenen Untergrund zur Verfügung, legt es sich nur in Ausnahmefällen ab.  

Bereits 2012 hat Miriam Baumgartner in ihrer Doktorarbeit das Schlaf- und Liegeverhalten von Pferden untersucht und daraus wichtige Forderungen abgeleitet. Sie sagt: „Um ausreichendes Ruhen zu ermöglichen, muss die Haltung nicht nur adäquate Liegeplätze aufweisen, sondern auch dem Sicherheitsbedürfnis jedes Pferdes genügen.“ 

Auch Christine Fuchs hat sich mit dem Schlaf von Pferden in ihrer Doktorarbeit beschäftigt (s. auch Medizin leicht verständlich). Demnach sind Schlafdefizite für einige Nächte kein Problem, werden jedoch dazu, wenn Pferde über Wochen oder Monate nicht oder kaum liegen.  

„In unserer Studie konnten wir belegen, dass die Symptome oft nach einem Stallwechsel auftraten“, sagt Christine Fuchs, die in ihrer Doktorarbeit speziell narkoleptische Schlafstörungen bei Pferden untersucht hat. Bei 36 % der Versuchspferde sei zudem die Liegefläche zu klein gewesen, auch das kann zu Schlafmangel führen. Schlafprobleme sind jedoch nicht einer bestimmten Haltungsform zuzuweisen, auch darauf weist die Tierärztin hin. Ruhelose Nächte drohen in jedem Haltungssystem.  

In Offenställen können zum Beispiel Rangordnungsprobleme oder sich oft ändernde Herdenzusammenstellungen den Schlaf stören, in Boxenställen etwa eine unruhige Umgebung. „23 % der 177 Pferdebesitzer in unserer Studie gaben zudem an, dass mehrere Pferde im selben Bestand Anzeichen von Schlafstörungen zeigten – das kann ein Indiz dafür sein, dass das Stallmanagement nicht optimal ist“, sagt Dr. Christine Fuchs. Ein Hinweis auf extremen Schlafmangel sind typische Verletzungen an den Karpalgelenken beispielsweise, deren Ursache narkoleptische Kollapse sein können. 

Erkundungsverhalten

Das Pferd ist von seiner Natur her darauf angewiesen, feine Signale und Reize aus der Umwelt schnell aufzunehmen, zu verarbeiten und adäquat zu reagieren. Nur so kann im Ernstfall die Flucht gelingen. Dieses Verhalten ist bis heute in unseren Pferden verankert. Um die Sinne zu schulen und zu schärfen, profitieren Pferde von einem im wahrsten Sinne des Wortes reizvollen Umfeld, in dem sie durch sehen, hören und riechen viele Eindrücke aufnehmen können (Zeitler-Feicht 2011). „Wer rastet, der rostet“, das scheint auch für die Sinnesleistung zu gelten.  

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie feine Sensoren in einer reizlosen Umgebung ermüden. Was passiert mit einem Pferd, das sein Leben in einer geschlossenen Innenbox mit hochgemauerten Zwischenwänden und Gitterstäben verbringen muss? Ein derart isoliertes Pferd wird jedes noch so kleine Ereignis als mega Event interpretieren und dementsprechend überreagieren. Die Reaktionen auf Geräusche oder Veränderungen in der Umgebung sind oft unangebracht heftig. Je nach Pferdetyp und Persönlichkeit kann Reizarmut aber auch zu Resignation und Verhaltensauffälligkeiten führen. 

Hygiene

Selbst naturnahe Haltungssysteme haben meist einen limitierenden Faktor: das Platzangebot. Und mit dem begrenzten Platz wird Hygiene zur Herausforderung. Oder kurz: Dort, wo sich viele Individuen für längere Zeit auf engem Raum tummeln, steigt der Infektionsdruck. Das gilt auch für den Pferdestall. In Gruppenhaltungen werden Futtertröge und Tränken von zahlreichen Pferden benutzt. Hier hat der einzelne Pferdehalter eine besondere Verantwortung, nicht nur für das eigene Pferd, sondern auch für die Gemeinschaft.  

Das Risiko zu erkranken wächst für das einzelne Pferd, wenn dessen Immunsystem zum Beispiel durch permanenten Stress und Schlafmangel weniger belastbar ist. Außer der Futter- und Stallhygiene kommt auch der Weidehygiene große Bedeutung zu. Pferdeweiden müssen gut gepflegt werden, andernfalls kommt es zu Problemen durch Parasiten und vermehrtem Wuchs von Unkräutern oder gar Giftpflanzen wie Jakobskreuzkraut oder Graukresse.  

Das Weihenstephaner Bewertungssystem

In Anlehnung an die Grundbedürfnisse von Pferden sind die Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten entstanden. Diese werden vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) herausgebracht und geben Pferdebesitzern und Stallbetreibern eine gute Orientierung. In den Leitlinien sind Mindestanforderungen festgelegt, durch die tierschutzrelevante Zustände vermieden werden können. Doch „nicht tierschutzwidrig“ heißt noch lange nicht „rundum wohlfühlen“. Denn Grundvoraussetzung für Wohlbefinden ist nach aktuellen wissenschaftlichen Meinungen nicht nur das Ausbleiben von Schmerzen und Leiden, sondern auch beim Tier das Empfinden positiver Gefühle.  

Zur Überprüfung und Verbesserung bestehender Haltungssysteme ist ein ganzheitlicher Blick notwendig. Für die sichere Beurteilung fehlte bislang aber eine wissenschaftlich fundierte und gleichzeitig praktikable Bewertungsmöglichkeit. Hier setzt das Weihenstephaner Bewertungssystem an. In einer groß angelegten Studie suchten Dr. Margit Zeitler-Feicht und Dr. Miriam Baumgartner tierbezogene Indikatoren aus dem Bereich des Verhaltens, die geeignet sind, Rückschlüsse auf das aktuelle Wohlbefinden der Pferde zu ziehen. Bemerkenswert: Für die meisten Nutztiere liegen weitestgehend geeignete Messgrößen vor, nicht aber für Pferde.  

„Das Weihenstephaner Bewertungssystem basiert auf den Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten. Es wurden zahlreiche Versuche auf Praxisbetrieben und projektbegleitende Studien durchgeführt, um die Indikatoren hinsichtlich der wissenschaftlichen Gütekriterien „valide, reliabel und praktikabel“ zu überprüfen. Ein Expertenbeirat, bestehend aus Vertretern wichtiger Institutionen der Pferdebranche, begleitet das Projekt von Anfang an“, erläutert Projektleiterin Dr. Margit Zeitler-Feicht. Seit 2013 sind die Wissenschaftlerinnen intensiv mit dem Projekt beschäftigt.  

Anhand von Literaturrecherchen fanden sie die Verhaltensweise „Zusammensein“ aus dem Funktionskreis Sozialverhalten als vielversprechenden Indikator für Wohlbefinden. Zusammensein zählt zu den sogenannten affiliativen Verhaltensweisen, also Verhaltensweisen, die den Wunsch nach Kontaktaufnahme signalisieren (Affiliation). Diese Verhaltensweisen dienen generell der Gruppenbindung und senken das Aggressionslevel (Lindberg 2001, Zeitler-Feicht und Baumgartner 2016), Reaktionen, die nach Boissy et al. (2007) dazu beitragen können, eine positive Stimmung in Tieren hervorzurufen.  

Allein die Nähe der Tiere zueinander darf jedoch nicht als Wohlfühl-Indikator herangezogen werden, da diese durch externe Faktoren wie Platzmangel oder Wind begünstigt werden kann (Boissy et al. 2007, Baumgartner et al. 2015).  

Im Weihenstephaner Bewertungssystem wird daher der definierte Indikator „freiwilliges Zusammensein“ als Hinweis auf Wohlbefinden erhoben. Anhand dieses Beispiels lässt sich erahnen, wie differenziert eine Überprüfung der Pferdehaltung erfolgen wird.  

Das Bewertungssystem basiert auf vier Grundanforderungen:  

1.Verhalten im Kontext von Empfindungen 

2.Gesundheitszustand 

3.Haltung und Management 

4.Umweltwirkungen 

Jeder Grundanforderung wurden mehrere „Welfare- bzw. Umweltkriterien“ zugeordnet. Den Wissenschaftlerinnen ist es gelungen, ein komplexes indikatorbasiertes Verfahren zu entwickeln, das die Gesamtbeurteilung des Wohlbefindens der Pferde in einem Haltungssystem ermöglicht.  

Unterstützt wurde das Projekt durch Fachleute aus Industrie und Wissenschaft sowie von Behörden und Verbänden. „Die Experten der verschiedenen Fachbereiche an einen Tisch zu bringen hat sich hervorragend bewährt “, blickt Dr. Zeitler-Feicht auf die Entwicklungsphase zurück.  

Den Einsatz für das Weihenstephaner Bewertungssystem sieht sie bei öffentlichen und privaten Beratungsstellen, aber auch bei Verbänden, Tierärzten, Versicherungen, Sachverständigen, Gutachtern und Betriebsleitern. Eine EDV-basierte, tabletfähige Software wird Analysen gestatten, Schwachstellen identifizieren und eine konkrete Beratung direkt im Betrieb unterstützen.  

Spätestens Mitte 2021 soll das innovative Tool auf den deutschen Markt kommen und im Einsatz einen wertvollen Beitrag zum praktischen Tierschutz leisten. 

Text: Sabine Heüveldop, Foto: Christiane Slawik