Ambulante Elektroenzephalographie beim Pferd

Wie fühlst du dich?

Wer möchte nicht gerne manchmal wissen, was im Kopf seines Pferdes vorgeht?  

Ist es entspannt oder fühlt es sich unwohl? Dr. Evelyn Schürg-Pfeiffer führt EEGs an sich frei bewegenden Islandpferden durch und macht Emotionen messbar – während Faszienbehandlungen, unter verschiedenen Therapiefarben, beim Muskelaufbautraining oder während osteopathischer Behandlungen. Auch unterschwellige Reize wie Gerüche und Geräusche spiegeln sich in der Gehirnleistung wider. 

In der Humanmedizin ermöglichen Computer seit 1965 exakte Auswertungen der Gehirnströme durch Frequenzanalyse-Systeme (Elektroenzephalographie = EEG). 1965 war gleichzeitig auch der Startschuss für neurologische Untersuchungen an Tieren, doch Pferde waren nur wenig im Fokus der Forscher. Die wenigen sehr kurzen EEGs, die überhaupt an Pferden durchgeführt wurden, erfolgten in Narkose oder im Schlaf. Grund war die Verbindung vom Pferdekopf über Kabel zu nicht mobilen Registriergeräten aus der Humanmedizin. Die Tiere durften sich deshalb nur wenig bewegen.  

Pferdehalter, Tierärzte und Therapeuten sind in der Praxis meist darauf angewiesen, anhand von Verhaltensreaktionen den gefühlsmäßigen Zustand von Pferden zu interpretieren. Bei entsprechenden Kenntnissen sind diese Verhaltenstests effektiv, dennoch bleiben oft Fragen offen. Antworten kann ein EEG geben, bei dem Gehirnströme gemessen und grafisch dargestellt werden. Mit Hilfe von zwei gekoppelten Untersuchungsmethoden, der Registrierung von Gehirnströmen (EEG) und der simultanen Videoaufzeichnung von Verhaltensänderungen sind Emotionen wie Aufmerksamkeit, Stress, Entspannung, Angst, Unruhe und Schmerz direkt messbar. 

Wie funktioniert die Elektroenzephalographie beim Pferd?

Alle Sinneseindrücke wie Sehen, Hören, Riechen, Fühlen und Schmecken werden als elektrische Signale zum Gehirn geleitet und dort analysiert. Informationen aus dem Körper werden über Nervenbahnen zeitgleich mit großer Geschwindigkeit in unterschiedliche Gehirnareale gesendet. Letztendlich wird sozusagen im „Teamwork“ eine der Situation angepasste Verhaltensreaktion ausgelöst. Das alles geschieht blitzschnell: Vom Erkennen einer Gefahr über deren Bewertung im Gehirn bis zur Ausführung einer körperlichen Reaktion dauert es nur 200-300 Millisekunden.  

Für die Registrierung der Gehirnwellen an sich frei bewegenden Pferden ist die ambulante, kabellose digitale Elektroenzephalographie Voraussetzung, da das Pferd hierdurch nicht in seiner Bewegungsfreiheit einschränkt wird. Diese moderne, bereits 2011 vom “Falkenberg-Institut für angewandte Elektroenzephalographie für Pferde” entwickelte, tierschutzgerechte Methode erlaubt tiefergehende Einblicke in die Funktionsweise des Pferdegehirns.  

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass es sich bei der Elektroenzephalographie um eine nicht-invasive Technik handelt, d.h. die Ableitung der elektrischen Aktivität von Gehirnzellen mittels kleiner Oberflächenelektroden findet risikolos und kaum spürbar an der Kopfhaut statt. Es fließt auch nicht, wie manchmal vermutet, Strom vom EEG-Gerät zu den Elektroden, sondern es wird nur der Gehirnstrom gemessen! Bei Menschen wird das Verfahren in der Medizin beispielsweise im Schlaflabor angewendet, zur Untersuchung von Epilepsie, zur Narkoseüberwachung oder Beurteilung des Hirntodes. Weiterhin wird es bei einer Fülle psychologischer Fragestellungen eingesetzt, im Sportbereich zum Beispiel oder in der Werbebranche, wenn es darum geht, die unterschwellige Wahrnehmung von Produktdetails zu analysieren. Nicht zuletzt wird schon jetzt unter dem Begriff Brain-Computer-Interface mit Hilfe des EEGs die Ansteuerung von Computern oder Robotern durchgeführt. Weiterhin ist in der Psychotherapie die Behandlung mit der Biofeedback-Methode zum Erlernen neuer Verhaltensmuster eine gängige Anwendung, die sehr schnell zum Erfolg führen kann. 

Da bei der ambulanten EEG-Technik die Übertragung der gemessenen Signale beim Pferd per Bluetooth erfolgt, wird lediglich eine kleine Empfängerbox mit Hilfe eines elastischen Gurtes im Sattelbereich befestigt. Eine Anbringung direkt am Kopf oder im Nacken kommt aufgrund unserer Erfahrungen von EEG-Ableitungen am Menschen nicht in Frage. Schon geringfügige Druckeinwirkungen auf den Schädel- oder Nackenbereich können zu Veränderungen der Gehirnwellen führen. Nach Untersuchungsende erfolgt die Berechnung der Gehirnleistung (EEG-Power) in bestimmten, für das Verhalten wichtigen Gehirnarealen, das sogenannte Brain-Mapping.  

Sowohl unser EEG-Ableitsystem für Pferde als auch die spezielle Fein-Analyse der Gehirnwellen werden sowohl für die eigene Erforschung des natürlichen Verhaltens von Pferden als auch für Auftragsstudien angewendet und ständig weiter entwickelt. Die Studien werden mit wachen, gesunden, weder pharmakologisch noch durch Hilfsmittel ruhig gestellten Reitpferden in ihrer gewohnten Umgebung und möglichst in Anwesenheit einer vertrauten Person durchgeführt. Mit Hilfe statistischer Analysen der EEG-Daten kann u.a. eine generelle Aussage über Gehirnwellen von Islandpferden im Ruhezustand (Ruhe-EEG) gemacht werden. Die so erhaltenen Daten werden verglichen mit den Gehirnströmen bei definierten Reizen, wie zum Beispiel bei entspannenden pulsierenden Magnetwellen, unter verschiedenen Therapiefarben, während Faszienbehandlungen, beim Muskelaufbautraining, während osteopathischer Behandlungen, aber auch bei unterschwelligen Reizen wie Futtergeruch, Geschmack und Geräuschen. Der große Vorteil des EEGs liegt darin, dass die Veränderung von bestimmten Gehirnwellen Rückschlüsse auf bewusste und auch unbewusste Wahrnehmungen zulässt, selbst wenn für uns noch keine offensichtliche Verhaltensreaktion erkennbar ist. Für eine Studie werden die Ergebnisse von allen Pferden zusammengefasst und statistisch ausgewertet. So kann man zum Schluss eine Aussage machen, ob die meisten Islandpferde auf einen bestimmten Reiz positiv, negativ oder gar nicht reagieren. 

Einsatzgebiete der Elektroenzephalographie

Trainingseinflüsse, Reitfehler, unpassendes Reitzubehör, Defizite in der Haltung, aber auch Wellness-Produkte und deren Anwendungen spiegeln sich in der Gehirnleistung wider und können auf dieser Grundlage überprüft und verbessert werden. Daher sind verschiedene Einsatzgebiete für die Elektroenzephalographie denkbar. 

Schmerz sichtbar machen

Pferde zeigen als Beute- und Fluchttiere beispielsweise keine Schmerzlaute, sondern leiden stumm. In der Wildnis hat das Vorteile, denn Feinde würden sonst schnell aufmerksam. Unter unsensiblen Reitern wird dieses typische Verhalten dem Pferd bisweilen zum Verhängnis, wenn das stumme Leiden als gehorsames Mitarbeiten fehlinterpretiert wird. Im Laufe seiner Ausbildung lernt das Pferd, Unmuts- und Schmerzreaktionen noch weniger anzuzeigen. Verantwortlich für die Anpassung ist der vordere Bereich seines Großhirns, der unter anderem für Planung, Problemlösung und Impulskontrolle zuständig ist. Aus diesem Gebiet stammt das Kommando: „Du musst jetzt gehorchen!“, obwohl normalerweise flüchten oder auch kämpfen die ursprüngliche Reaktion wäre.  

Die vorgeschalteten Gehirngebiete, die Motivation und Emotionen steuern, erhalten jedoch weiterhin Informationen von den Sinnesorganen, die auf eine Gefahrensituation hinweisen. Diese Wahrnehmungen werden mit dem Befehl „Gehorchen“ nicht abgestellt, sondern bewirken langfristig eine Fehlregulation von Hormon- und Immunsystem. Als Folge einer ständigen Unterdrückung von negativen Impulsen steigt der Stresslevel, begleitet von entsprechenden körperlichen sowie psychischen Reaktionen. Kurzfristig betrachtet wird der Körper in Alarmstimmung versetzt, Energie wird bereitgestellt, aber nicht in Bewegung umgesetzt und verbraucht. Können die Pferde die angestaute Energie nicht abbauen, wird der Körper in einer Dauererregung gehalten, was gesundheitliche Probleme hervorruft. Das Pferd nach einer mental anspruchsvollen Trainingseinheit zur Erholung direkt in die Box zu stellen, ist vor diesem Hintergrund keine gute Idee. Der Einfluss von Stress auf das Verhalten von Pferden und die Kommunikation mit dem Menschen ist heute Gegenstand vieler Untersuchungen weltweit.  

Rechtes und linkes Pferdegehirn

Während des Ruhe-EEGs konnten bei Stuten und Wallachen Seitenunterschiede der Gehirnwellen im Kortex festgestellt werden. Diese lateralen Unterschiede lassen sich jedoch durch neue Sinnesreize beeinflussen. Der Seitenunterschied kann sich je nach Anlass verstärken oder auch abschwächen. Mit der „Sensorischen Lateralität als Indikator für emotionale und kognitive Reaktionen auf Umweltreize beim Tier“ befasst sich ein Buchartikel von Konstanze Krüger (Universität Regensburg). Sie beschreibt auf der Grundlage von Verhaltensuntersuchungen, dass Pferde eindeutig ein Auge, ein Ohr oder eine Nüster bevorzugen. Tiere, die Sinneseindrücke von der linken Seite erhalten, zeigen vermehrt reaktive, emotionale Reaktionen wie Angst oder freudige Erregung, bei rechtsseitig aufgenommenen Sinneseindrücken eher rational gesteuertes Verhalten. Weiterhin wird hier beschrieben, dass sich die Lateralität unter Stressbedingungen verstärkt und auf eine Beeinträchtigung unterschiedlicher Ursachen hinweist. Die linke Gehirnhälfte ist für die Steuerung in Routinesituationen zuständig, während die rechte Seite auf unvorhersehbare Veränderungen in der Umwelt reagiert. Diese Beobachtung kann durch unsere Ergebnisse bestätigt werden, die EEG-Power ist in ereignislosen Ruhephasen der Pferde parietal linksseitig höher.  

Einfluss von Umgebungsfarbe auf die Gehirnwellen

In einer weiteren Auftragsstudie wurde die Auswirkung verschiedener Therapiefarben auf die EEG-Power an sieben Stuten getestet. Dabei konnte festgestellt werden, dass langwellige Farbspektren wie Orange, Rot und Gelb im Vergleich zu der Referenzfarbe (Weiß) die EEG-Power erhöhen und eine Steigerung der Aufmerksamkeit auslösen. Bei der Farbe Gelb ging dieser aufmerksame Zustand bei einigen Pferden bereits in Anspannung und Stress über. Kurzwelliges Licht wie Violett und Blau führte zu einer Reduktion der Gehirnleistung in den schnellen EEG-Bändern (Abb.7). Videoaufnahmen zeigten eine zunehmende Entspannung der Pferde. Eine exakte statistisch signifikante Zuordnung der Wirkung definierter Farben ist aber erst mit einer größeren Probandenzahl möglich.  

Fazit

EEG-Ableitungen der Gehirnwellen bei Pferden verbunden mit simultaner Bildanalyse erlauben  eine objektive  Beurteilung autonomer und emotionaler Reaktionen. Es können u.v.a. anhand der EEG-Power Überlastung, Schmerz und Stress durch Fehler bei Training, Haltung, Fütterung oder nicht passendes Reitzubehör nachgewiesen werden. Größer angelegte EEG-Studien helfen, offene Fragen zu beantworten und neue Erkenntnisse zu gewinnen, die von allgemeinem Interesse sind. Ein Beispiel von vielen könnte die Unterstützung bei Zuchtentscheidungen sein. Hier wäre eine mögliche Fragestellung, ob in bestimmten Zuchtlinien eine erhöhte Stressanfälligkeit anhand des EEGs nachgewiesen werden kann. 

Text: Dr. Evelyn Schürg-Pfeiffer, Foto: Sabine Heüveldop