Das Immunsystem

Selbstverteidigung – oder: Wie funktioniert das Immunsystem?

Sie sind in der Luft, im Boden und im Futter: Bakterien, Pilze, Viren und andere Krankheitserreger. Trotzdem werden die meisten Pferde selten ernsthaft krank, denn der Körper verfügt über einen ausgeklügelten Abwehrmechanismus: das Immunsystem. Doch wie funktioniert diese Körperabwehr und was passiert, wenn die Widerstandskraft nicht stark genug ist?
Es liegt in der Natur der Sache, dass Krankheitserreger permanent versuchen, in den Körper einzudringen. In den meisten Fällen vergeblich, denn das körpereigene Abwehrsystem ist überaus effektiv. So bleiben viele Attacken unbemerkt. Es gibt jedoch Erreger, die nicht so schnell zu eliminieren sind. Dann müssen die Abwehrmechanismen auf Hochtouren arbeiten und es treten Begleiterscheinungen auf. Pferde, die sich mit einem Infekt auseinandersetzen, haben zum Beispiel Husten oder auch Fieber. Um den Organismus vor Erkrankungen zu schützen, verfügt dieser über einen mehrstufigen Abwehrmechanismus.

Stufe 1 Mechanische Barrieren

Damit Krankheitserreger gar nicht erst in den Körper eindringen, hat der Organismus mechanische Hürden eingebaut: Hierzu gehören Haut und Schleimhäute, das Flimmerepithel der Atemwege oder auch die Magensäure im Verdauungstrakt. Die Zellen der Haut, das Epithelgewebe, sind sehr dicht miteinander verbunden (tight junctions). Epithel hat die Eigenschaft, ständig abgeschilfert und nachproduziert zu werden.
Vereinfacht könnte man also sagen, dass das Pferd mit abgestorbenen Hautzellen automatisch Krankheitserreger loswird, die sich daran angeheftet haben. Außerdem ist die Haut des Pferdes mit einer natürlichen Bakterienflora besiedelt, die Krankheitserreger verdrängt. Auch befinden sich Fettsäuren auf der Haut, was viele Keime davon abhält, diese zu besiedeln. Erreger, die das Pferd mit dem Futter aufnimmt, werden oft durch den sauren pH-Wert des Magens und die Enzyme des Verdauungstraktes eliminiert.
Ist eine der Schutzbarrieren angegriffen, verliert der Körper an Widerstandskraft und das Pferd wird infektanfälliger. Jede Verletzung der Haut oder Schleimhaut oder eine Beeinträchtigung der natürlichen Bakterienflora auf der Haut oder im Darm erleichtert Keimen das Eindringen in den Pferdekörper. Tritt dieser Fall ein, muss der Körper weitere Mechanismen aktivieren.
Daran sind zwei Systeme beteiligt: das erworbene (adaptive) und das angeborene (nicht-adaptive) Immunsystem. Entsprechende Zellen nehmen dann den Kampf auf. Dringen Erreger in den Pferdekörper ein, ist die Abwehr alarmiert und es kommt zur Immunantwort.

Zelluläre Bestandteile

Zellen der Haut und bestimmte Abwehrzellen produzieren sogenannte Defensine. Das sind Stoffe, die sich in die Zellmembran von Bakterien einlagern können und diese zerstören. In der Lunge gibt es Substanzen, die als Surfactant bezeichnet werden.
Diese sichern nicht nur die zum Atmen nötige Oberflächenspannung, sie wirken auch antibakteriell. In den meisten
Körperflüssigkeiten kommt ein Stoff vor, der Lysozym genannt wird und ebenfalls antibakteriell wirkt. Gegen Viren bildet der Körper bestimmte Eiweiß-Zucker-Verbindungen, Interferone. Diese werden wenige Stunden nach einer Virusinfektion gebildet und verlangsamen die Ausbreitung von Viren.

Stufe 2 Die angeborene Abwehr

Dieser Teil des Immunsystems wird bereits vor der Geburt ausgebildet. Das angeborene oder auch unspezifische Immunsystem reagiert auf kleinste Strukturen, die auf der Oberfläche von Krankheitserregern vorkommen, nicht aber auf körpereigenen Zellen. Erkennen die Zellen der sogenannten unspezifischen oder auch angeborenen Abwehr Krankheitserreger, leitet der Körper eine stets gleich bleibende Immunantwort ein.
Das heißt, dass es bei einer erneuten Infektion mit den gleichen Erregern weder zu einer schnelleren noch effektiveren Vernichtung der Eindringlinge kommt. Dennoch ist die unspezifische Immunantwort wichtig: Sie erfolgt sofort und verhindert, dass sich die Keime im Körper ausbreiten. Diese Abwehr wird nicht ohne Grund „unspezifische Abwehr“ genannt. Alle Fremdkörper, die körperfremd und potenziell bedrohlich sind, werden einfach aufgefressen. Es wird nicht analysiert, um welchen Angreifer es sich handelt. Eindringlinge werden einfach von den Fresszellen umschlossen und nach und nach abgebaut.
Weiße Blutkörperchen, die sogenannten Leukozyten, spielen eine der Hauptrollen bei der Immunabwehr. Sie werden unterschieden in Lymphozyten, Monozyten und Granulozyten. Tobt im Körper eine Infektion, erhöht sich ihre Anzahl. Das ist im Blutbild nachweisbar.
Neben den weißen Blutzellen sind große Fresszellen (Makrophagen), Mastzellen und dendritische Zellen an der unspezifischen Immunantwort beteiligt. Um Erreger vollständig zu eliminieren, reicht diese unspezifische Antwort aber meistens nicht aus.

Feind in Sicht!

Wenn Krankheitserreger trotz der körpereigenen Barrieren ins Gewebe eindringen, treffen sie zunächst auf Makrophagen und Mastzellen. Diese haben Rezeptoren, mit denen sie die Erreger erkennen, worauf sie Entzündungsbotenstoffe ausschütten. Diese Stoffe sind verantwortlich für die typischen Anzeichen einer Entzündung wie Hautrötung, Wärme, Schmerz und Schwellung.
Weitere Abwehrzellen werden ins Gewebe gelockt und bekämpfen die Erreger durch Ausschüttung von Stoffen, Umschließen und Verdauen (Phagozytose). Bei schweren Entzündungen werden sehr viele Makrophagen aktiviert und die Entzündung greift auf den Körper über – das Pferd bekommt Fieber. Die erhöhte Körperinnentemperatur bremst das Wachstum der Bakterien. Das Pferd fühlt sich abgeschlagen, müde und hat meist wenig Appetit.

Freund oder Feind?

Wie erkennt der Körper, ob es sich bei einem Keim um einen Teil der wichtigen natürlichen Bakterienflora handelt oder um einen Krankheitserreger? Substanzen, die eine Immunantwort hervorrufen, werden als Antigene bezeichnet. Das sind Stoffe oder Strukturen, die sich beispielsweise auf der Oberfläche von krankheitserregenden Organismen befinden und der Immunabwehr des Pferdes mitteilen, dass es sich um unerwünschten Besuch handelt, der bekämpft werden muss.
Diese Aufgabe ist schwer, da es unendlich viele Antigene gibt und der Körper jedes Mal „entscheiden“ muss, ob eine Substanz toleriert oder bekämpft wird. Sobald in dem fein abgestimmten System irgendetwas aus den Fugen gerät, kann das Pferd beispielsweise zu Allergien neigen, Autoimmunerkrankungen entwickeln oder immer anfälliger für Infekte werden.

Stufe 3 Die spezifische Abwehr

Die spezifische Abwehr ist die stärkste Waffe des Immunsystems. Das Besondere: Das spezifische Immunsystem merkt sich die Beschaffenheit der Erreger. Bei einer erneuten Infektion kann der Körper schneller und wirkungsvoller reagieren. Die spezifische Abwehr steht jedoch nicht von Geburt an zur Verfügung. Sie muss erst erlernt werden.
Ausgeführt wird sie von Lymphozyten. Jeder Lymphozyt erkennt eine individuelle Antigenstruktur. Da sich im Körper des Pferdes sehr viele Lymphozyten befinden, gibt es eine große Bandbreite an möglichen Antigenrezeptoren. Hat ein Lymphozyt Kontakt zu dem von ihm erkennbaren Antigen, werden in Lymphknoten und Milz sehr viele Lymphozyten (Klone der aktivierten Zelle, Effektorzellen) mit derselben „Antigenerkennung“ produziert. B-Lymphozyten lösen dabei die sogenannte humorale Immunantwort aus. Sie bilden Immunglobuline (Antikörper). Antikörper haben je nach Typ verschiedene Aufgaben und sind hocheffektiv. Sie können die Erreger zerstören, Giftstoffe neutralisieren oder die Anheftung von Viren verhindern.
T-Lymphozyten reifen in der Thymusdrüse. Sie sind für die zelluläre Immunantwort zuständig. Trifft ein T-Lymphozyt auf bestimmte Antigene, differenziert er sich zu einer T-Helferzelle, T-Killerzelle oder zu einer regulatorischen T-Zelle. T-Killerzellen zerstören den Erreger sofort, Helferzellen locken weitere Zellen der Immunabwehr an und die regulatorischen T-Zellen regulieren überschießende Immunreaktionen.
Bei der primären Immunantwort dauert es von der ersten Begegnung mit einem Antigen etwa fünf bis zehn Tage, bis maximal viele Effektorzellen gebildet werden. Wird der Organismus irgendwann wieder mit demselben Antigen konfrontiert, ist die nun folgende sekundäre Immunantwort erheblich schneller (drei bis fünf Tage) und hält länger an. Die sekundäre Immunantwort wird durch langlebige Gedächtniszellen ermöglicht, die zusammen mit den Effektorzellen gebildet werden. Auf diesem Prinzip basieren Impfungen.

Wichtige Faktoren

Das Immunsystem kann nur störungsfrei arbeiten, wenn das Pferd optimal mit allen Nährstoffen versorgt wird und Haltung und Training stimmen. Fütterung: Pferde brauchen eine bedarfsgerechte Fütterung mit hochwertigem Grundfutter (am wichtigsten ist gutes Heu), darauf abgestimmte Mengen Mineralfutter und je nach Leistung und derzeitigem Futterzustand Kraftfutter. Auch der Eiweißgehalt der Gesamtration ist wichtig, nur wenn genügend Proteine vorhanden sind, kann das Immunsystem optimal arbeiten. Spurenelemente, die der Körper im Zusammenhang mit der Immunabwehr benötigt, sind Zink, Mangan und Selen. Zink ist nötig, um T-Lymphozyten in der Thymusdrüse zu bilden, aber auch um die Haut (mechanische Barriere) gesund zu halten. Selen gehört zu den Antioxidantien und schützt die Zellen vor aggressiven Sauerstoffverbindungen. Mangan fördert, wie Zink auch, die Bildung gesunder Schleimhäute. Insgesamt ist es aber wichtig, die Gesamtversorgung des Pferdes im Blick zu haben und nicht einzelne Spurenelemente „auf Verdacht“ zuzufüttern. Dosiert man diese über, schadet man dem Pferd mehr als man ihm nutzt und es kann zu Vergiftungen kommen!

Haltung

Muss ein Pferd sich täglich mit schimmeligem Heu oder unhygienischer Einstreu auseinandersetzen, kann das das Immunsystem überfordern und das Pferd wird infektanfälliger. Auch chronischer Stress in der Herde ist ein Immunkiller: Kann das Pferd nicht ausreichend ruhen und schlafen, sinkt die Aktivität der Immunzellen.

Training

Zu viel oder zu wenig Bewegung kann das Immunsystem auch negativ beeinflussen. Lymphflüssigkeit wird etwa nur durch
Muskelbewegung transportiert. Während einer Belastung steigt die Zahl bestimmter Abwehrzellen im Blut, nach der Belastung sinkt diese Zahl wieder. „Sport“ ist also grundsätzlich prima fürs Immunsystem. Wird bis zur Erschöpfung trainiert, zirkulieren weniger Immunzellen im Blut als vor der Belastung. Wichtig ist also (und das nicht nur für das Immunsystem), dass das Pferd nicht ständig bis zur Leistungsgrenze trainiert wird und dass der Körper genügend Regenerationspausen bekommt.

Text: Claudia Weingand