Neue Wege in der Medizin

Erbkrankheiten

Genforschung ist ein ethisch umstrittenes Thema mit vielen Facetten. In der Pferdezucht und -haltung bewirkt die Genetik jedoch auch viel Gutes: So können nicht nur Erbkrankheiten nach und nach grundsätzlich dezimiert werden, auch das einzelne betroffene Pferd profitiert von modernen Gentests.

Eine eindeutige Diagnose ermöglicht eine gezielte Behandlung, und das bereits im Vorfeld der eigentlichen Erkrankung. Je mehr der Pferdehalter und Züchter über die genetische Vorbelastung seines Pferdes weiß, desto besser kann er sowohl helfen als auch gezielt vorbeugen.
Mit den Methoden der Molekulargenetik ist es heute möglich, Einzelgenwirkungen beim Pferd aufzudecken und Gentests zu erarbeiten. So konnten in den letzten 20 Jahren bereits viele genetisch bedingte Erbkrankheiten beim Pferd aufgeklärt werden.
Durch diese Diagnostik kann unter anderem die Züchtung von kranken Fohlen verhindert werden. Viele Nachkommen waren bisher beim Pferd erforderlich, um auch nur ein einzelnes Gen und seine Wirkung aufzudecken, zum Beispiel bei einem Erbkrankheitsträger. Erst mit den Methoden der Molekularbiologie wird es jetzt möglich, kranke und nicht lebensfähige Fohlen ganz zu verhindern, indem Erbkrankheitsträger schon vor ihrem Zuchteinsatz aufgedeckt, begrenzt oder überhaupt nicht mehr zur Zucht eingesetzt werden. Genetische Verfahren werden in Zukunft sicher auch Gengruppen und Verbindungen zu Erbanlagen aufdecken, die sich auf die Gesundheit und damit auch auf das Leistungsvermögen unserer Pferde auswirken.

Erster Gentest für Pferde im Jahr 1993

Die Tabelle zeigt erarbeitete Gentests für Erbkrankheiten beim Pferd, die heute von vielen Laboren weltweit angeboten werden. Die Tests decken jeden Träger eines betroffenen Gens bereits im Fohlenalter sehr sicher auf. Dazu reicht meist eine Zellprobe (Haarwurzelprobe) aus.
Der erste Gentest beim Pferd wurde 1993 in den USA für die Muskelerkrankung HYPP erarbeitet, die von dem Hengst Impressive in der Rasse Quarter Horse verbreitet wurde. Es handelt sich um eine Erkrankung mit dominantem Erbgang, die bereits beim Einzelgenträger wiederholte Muskelkrämpfe und Lähmungen hervorrufen kann. Doppelgenträger für HYPP sind regelmäßig stärker betroffen. Doch nicht alle HYPP-Einzelgenträger haben Krankheitsanzeichen. Es sind zudem Fälle bekannt, wo sich Muskelerkrankungen bei HYPP-Einzelgenträgern erst im Alter der Pferde von über 14 Jahren eingestellt haben. Mit dem Gentest für HYPP kann jeder Träger schon vor einem möglichen Krankheitsausbruch erkannt werden. So wird es auch möglich, rechtzeitig begleitende Maßnahmen einzuleiten, mit dem Ziel, schwere Krankheitsausbrüche bei den Genträgern zu vermindern.
Ähnlich verhält es sich mit der genetisch bedingten PSSM1-Stoffwechselkrankheit, die in einigen Pferderassen bei PSSM1-Trägern zu einem schweren Krankheitsausbruch führen kann. Frühzeitig eingesetzte begleitende Fütterungs- und Haltungsmaßnahmen können eine Erkrankung bei den Genträgern meist vollständig verhindern. So dient die Gen-Diagnostik nicht nur der Eindämmung von Krankheiten, sondern trägt ganz konkret zum Wohlbefinden des betroffenen Pferdes bei.

Profit auch aus der Humangenetik

Mit direkter Information aus der Humangenetik ist es 2006 an der US-Universität von Minnesota erfolgreich gelungen, die genetischen Ursachen für den „weißen Fohlentod“ aufzudecken, das Overo Lethal White Syndrom (OLWS). Über Jahrzehnte hinweg hatten Paint- und Pintozüchter von nicht lebensfähigen weiß-geborenen Fohlen berichtet. Auch in Europa gab es unter den bunten Westernpferden diese Fohlenverluste. Die weißgeborenen Fohlen haben schon bei Geburt unheilbare Nervenentwicklungsstörungen und Nervendefekte. So werden unter anderem die Funktionsfähigkeit aller Verdauungsorgane und die Haarpigmentierung blockiert.
Genetische Ursachen für einen vergleichbaren Erbdefekt waren beim Menschen bereits als Hirschsprung-Krankheit mit einer Variante des sogenannten Endothelin-B-Rezeptors bekannt. Die Arbeitsgruppe um Dr. Elisabeth Santschi an der Universität von Minnesota konnte mit dieser Information eine deckungsgleiche Genvariante bei betroffenen Pferden aufspüren. Das züchterisch wichtige Resultat war ein Gentest für OLWS beim Pferd. Mit diesem Test kann jeder OLWS-Genträger bereits im Fohlenalter sicher erkannt werden. OLWS-Einzelgenträger sind vollständig gesund, hier verursacht die Genvariante lediglich die bevorzugte bunte „Frame Overo“-Scheckung. Fohlenverluste lassen sich jetzt tierschutzgerecht umgehen, indem Genträger unter den Zuchttieren nicht mehr miteinander verpaart werden.

Einzelgenträger nicht miteinander verpaaren

Die meisten Erbkrankheiten beim Pferd zeigen eine sogenannte rezessive Genwirkung auf. Die Krankheit selbst kommt hier erst zum Ausbruch, wenn das betroffene Pferd Doppelgenträger ist, also von seinem Vater und von seiner Mutter jeweils eine Erbanlage für den Defekt erhalten hat. Einzelgenträger sind und bleiben hingegen vollständig gesund, geben die schädliche Erbanlage aber mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent an die nächste Generation weiter. Werden zwei gesunde und damit unerkannte Einzelgenträger miteinander verpaart, dann werden mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent kranke Nachkommen auftreten, die eine schädliche Erbinformationen doppelt tragen und diese jeweils von den beiden gesunden Elterntieren erhalten haben. Mit Gentests können gesunde Einzelgenträger schon vor einer Verpaarung sicher erkannt werden. Die Zucht von kranken Doppelgenträgern und das damit verbundene Leid und die Schmerzen bei betroffenen Pferden lassen sich vollständig verhindern, wenn die Einzelgenträger nicht miteinander verpaart werden. Mit Zuchtprogrammen können die schädlichen Erbanlagen zudem langfristig sogar vollständig aus einer Pferderasse ausgeschlossen werden. Dies kann in zahlenmäßig kleineren Pferderassen und bei stärkerer Verbreitung der Erbanlagen in einigen Pferderassen durchaus von besonderer Bedeutung sein.

Genforschung zur Aufklärung weiterer Erkrankungen

An mehreren Universitäten wird an dem Nachweis weiterer Erbkrankheiten beim Pferd gearbeitet. Dies betrifft Krankheiten wie etwa Kreuzverschlag, das RER-Stressgen beim Rennpferd, erbliche Augenanomalien, Zwergwuchs und Immunschwächen in Ponyrassen. Bei ihren Arbeiten verwenden die Wissenschaftler vorwiegend genetische Marker und nutzen zugleich bereits vorliegende Erkenntnisse aus der Genkarte des Menschen. Die fraglichen Chromosomenabschnitte und Gene werden mit Markern möglichst eng eingekreist, markiert, ihre Aufspaltungen beobachtet und letztlich bei erfolgreichem Vorgehen in ihrer Zusammensetzung auch aufgedeckt. Gelingt dies nicht vollständig, kann man auch mit den Markern gute Aussagen machen. Voraussetzungen sind exakt erhobene Praxis-Information und ausreichend umfangreiches Testmaterial aus betroffenen Pferdefamilien.

Medizinische Geheimnisse aufklären

Wichtige weitere Forschungsarbeit wird die Suche nach den genetischen Einflussfaktoren für die große Gruppe der Atemwegserkrankungen, Allergien, Muskeldefekte, Stoffwechselstörungen und weitere Erkrankungen des Bewegungsapparates des Pferdes sein. Die Problembereiche Kolik, Sommerekzem, Hauttumore und Gelenkschäden stehen hier bei den internationalen Forschungsarbeiten im Vordergrund. Solche Erkrankungen werden meist von vielen Erbanlagen und Umweltwirkungen hervorgerufen. Hier die exakte molekulargenetische Basis zu erforschen, zeigt sich als größte Herausforderung auch bei humangenetischen Arbeiten. Forschungen am Pferd wurden in ersten Schritten aufgenommen. Auch für die komplex zusammengesetzten Merkmale wird die Pferdezucht von den Fortschritten aus der Genetik profitieren. Die Aufdeckung genetischer Ursachen für Krankheiten und Defekte wird letztendlich nicht zu einem vollständig erbfehlerfreien und zu einem krankheitsfreien Pferd führen, die genetischen Arbeiten werden aber medizinische Geheimnisse des Pferdes aufklären. Sie können eindeutige Krankheitsdiagnosen und effektive Behandlungsmethoden ermöglichen. Mit Gentests und ihren Informationen lassen sich zudem schon jetzt mit verantwortungsvoller Pferdezucht schwere Erbfehler und somit Leid für betroffene Tiere verhindern.

Text: Dr. Dr. Ines von Butler-Wemken, Foto: Christiane Slawik