Leckerlis als Belohnung?

Ja, aber bitte mit Verstand!

Viele Pferdebesitzer lieben es, ihr Pferd mit Futter zu belohnen. Andere, wie zum Beispiel der erfahrene Profitrainer Bernd Hackl, sind strikt dagegen. PFERDE fit & vital wollte es genauer wissen und hat sich mit Prof. Dr. Konstanze Krüger und Dr. Isabell Marr unterhalten.

Die beiden Wissenschaftlerinnen sind die Autorinnen des Buches ‚Forschung trifft Pferd‘, das aktuelle Erkenntnisse rund ums Verhalten von Pferden darstellt. Beide sind zudem aktive Reiterinnen. Dr. Marr war zehn Jahre lang selbstständig als Trainerin im Westernsportbereich.
„Futter als Belohnung ist tatsächlich eine zwiespältige Sache“, gibt Prof. Krüger zu. „Insofern haben beide Seiten Recht, die Befürworter wie die Gegner. Aus der Sicht des Verhaltensforschers muss man sich zunächst fragen, wie Pferde denn eigentlich lernen. Eine Belohnung nach guter Arbeit führt zur Ausschüttung von Glückshormonen. Studien haben gezeigt, dass Futtergaben mit der größten Ausschüttung dieser Hormone verbunden sind und damit den stärksten Anreiz zum Lernen geben. Zudem ist es die langfristig haltbarste Form der positiven Verstärkung.“
„Aber Leckerlis und Co. können auch Probleme bereiten“, fügt sie hinzu. „Pferdebesitzer, Reiter und Trainer müssen sehr genau wissen, was sie tun, wenn sie Futter als Belohnung geben. Ranghöhere Pferde beginnen schnell, die Leckerlis einzufordern. Wenn man jetzt nicht konsequent ist, hat man unter Umständen ein Problem geschaffen, das es ansonsten nicht gegeben hätte. Zudem muss das Timing der Belohnung stimmen. Bekanntlich können Pferde eine Belohnung und den Grund für diese Belohnung nur dann zuordnen, wenn dazwischen zwei und zehn Sekunden liegen. Das entspricht einer Studie von McLean 2004 zum Kurzzeitgedächtnis der Pferde*). Beim Reiten wird es mit einem Leckerli daher schwierig, weil man ja erst anhalten muss. Wer seinem Pferd nach einer guten Reitstunde erst im Stall eine Futterbelohnung gibt, kann nicht erwarten, dass das Pferd die Belohnung mit dem tollen Galoppwechsel verknüpft. Aber es kann das allgemeine Wellness-Gefühl fördern und so für eine insgesamt positive Stimmung sorgen. Insofern kann ein Leckerli hier durchaus Sinn machen, insbesondere, wenn es sich um ängstliche Pferde handelt oder solche, die unter erlernter Hilflosigkeit leiden.“
Prof. Krüger selbst setzt bei ihren eigenen Pferden hin und wieder durchaus auf Leckerlis. So berichtet sie von einer Stute, die unter extremem Gurtzwang litt. Ihr Verhalten beim Satteln änderte sich auch nicht, nachdem die Ursache abgestellt war. Prof. Krüger setzte hier gezielt Futter ein, um die Situation für die Stute positiv zu gestalten. Und tatsächlich verringerten sich die Gurtzwang-Reaktionen erheblich.
Auch Dr. Marr setzt bei Bedarf auf die positiven Effekte einer Futterbelohnung. „Das jeweilige Pferd und der Besitzer entscheiden darüber, ob Leckerlis gegeben werden können oder nicht“, sagt sie. „Bei fordernden, aufdringlichen Pferden kommen sie nicht in Frage. Aber eine Futterbelohnung kann Wunder wirken bei Pferden, an die man schlecht herankommt, die ängstlich sind oder die Streicheleinheiten nicht mögen. Tatsächlich haben Untersuchungen gezeigt, dass Futterbelohnung sehr positiv wirkt bei Pferden, die bereits schlechte Erfahrungen gemacht haben. Sie wurden dadurch wesentlich neugieriger und aufgeschlossener.“
Auch Dr. Marr weist eindringlich auf die Bedeutung des Timings bei der Belohnung hin: „Je mehr Zeit zwischen korrektem Verhalten und der Belohnung bzw. dem Verstärker vergeht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass andere Reize auftreten und es eine Fehlverknüpfung geben kann – also vom Pferd nicht das gewünschte Verhalten mit der Belohnung assoziiert wird. Daher liegt die optimale Zeit zwischen erwünschtem Verhalten und Belohnung bei 0,5 Sekunden. Auch beim Reiten sollte man im Moment des erwünschten Verhaltens belohnen, z. B. über einen sekundären Verstärker wie den Klicker. Wenn man sehr gut ist, schafft man es auch zuverlässig mit einem Stimm-Lob, welches das Pferd gelernt hat, positiv zu assoziieren. Ist diese Assoziation einmal vorhanden, hat man im Anschluss an den sekundären Verstärker Zeit, um anzuhalten und kann die Futterbelohnung (primärer Verstärker) verabreichen, da dann der sekundäre Verstärker bereits zur Ausschüttung der Glückshormone geführt und sich ein positives Gefühl beim Pferd eingestellt hat.“
Fazit: Futterbelohnungen sind eine tolle Sache, aber nicht für jedes Pferd. Im Zweifelsfall lieber beim Reiten zum Beispiel eine Pause einlegen und am Hals kraulen. Auch das empfindet das Pferd als Belohnung.
*) McLean, A. N. (2004). Short-term spatial memory in the domestic horse. Appl. Anim. Behav. Sci., 85(1-2), 93–105).

Text: Ramona Billing/fachliche Beratung Prof. Konstanze Krüger-Farrouj und Dr. Isabell Marr, Foto: Angelika Schmelzer