„Man ist nie zu alt fürs Pferd“

Reiten – der Sport für alle Lebensphasen
Im Gespräch mit Sportpsychologin Johanna Constantini
Reiten ist ein Sport bzw. eine Leidenschaft für das ganze Leben. Im Laufe der Zeit verändern wir uns jedoch nicht nur körperlich, sondern auch mental. Bei Pferdeleuten, die zu wenig Sport treiben, lassen nun Elastizität, Fitness und Beweglichkeit nach, die Heilungsphasen nach Verletzungen dauern länger. Viele werden dadurch vorsichtiger, schließlich hat man ja Verantwortung für Familie und Beruf. Man hat von Unfällen gehört oder sie selbst erlebt, und plötzlich ist die Angst ein unwillkommener Begleiter im Sattel. Ist es Zeit, das Reiten aufzugeben? „Nein!“, sagt die Innsbrucker Sportpsychologin Johanna Constantini. „Im Reiten und rund ums Pferd gibt es nie ein „zu alt“. Das ist das Tolle an unserem Sport. Es gibt lediglich unterschiedliche Lebensphasen, an die man den Sport anpassen muss.“
Frau Constantini, als Sportpsychologin, die schwerpunktmäßig im Pferdesport tätig ist, betreuen Sie Reiterinnen und Reiter verschiedener Disziplinen. Welche Herausforderungen stellt das Älterwerden speziell an uns Reiter?
Ob Freizeit- oder Turnierreiter, Amateur oder Berufsreiter – an uns allen gehen die Jahre nicht spurlos vorbei. Muskeln können sich zurückbilden, Sehnen und Bänder können weniger elastisch werden, nach Anstrengungen dauert die Regeneration länger. Auch die Art des Fallens bei einem Sturz vom Pferd verändert sich. Die gute Nachricht ist aber, dass sich all dem durch gezieltes Kraft- und Ausdauertraining gegensteuern lässt. Einen Alternativsport kann ich ohnehin nur jedem Reiter empfehlen.
Aber auch mental wirkt sich bei den meisten das Älterwerden aus. Zum einen gewinnt man mit den Jahren immer mehr Erfahrung, was sich positiv auf das reiterliche Können und aufs Pferd auswirkt. Andererseits wird man oftmals vorsichtiger, weniger risikofreudig. Man steigt nicht mehr auf jedes Pferd, wie man das früher tat, und überlegt sich, ob man wirklich über das Stoppelfeld galoppiert oder da nicht vielleicht ein Loch im Boden sein könnte. Das ist ja grundsätzlich nicht verkehrt – Angst ist schließlich etwas Überlebenswichtiges. Man sollte sich dadurch nur nicht die Freude an der Reiterei nehmen lassen.
Manchmal passiert es aber doch: ein Sturz vom oder mit dem Pferd, nach dem einem erst mal der Schreck in den Knochen sitzt. Was tun, wenn man danach Angst hat, wieder aufs Pferd zu steigen?
Die Angst vor einem Unfall und den daraus resultierenden Verletzungen tritt im Sport sehr häufig auf. Leider gibt es kein Patentrezept, aber es gibt viele Punkte, an denen man ansetzen kann. Zuerst sollte man sich seiner Angst stellen und es langsam angehen lassen. Schritt für Schritt geht es behutsam nach vorn. Wenn man nicht sofort wieder in den Sattel steigen möchte, ist das ok. Dann beschäftigt man sich vom Boden aus mit dem Pferd und arbeitet an der gegenseitigen Vertrauensbildung. Geht es wieder in den Sattel empfiehlt es sich, langsam zu beginnen. Erst im Schritt, dann im Trab und Galopp. Dabei tastet man sich langsam aus seiner Komfortzone heraus, bis man sich wieder sicher fühlt. „Systematisches Desensibilisieren“ heißt das in der Fachsprache. Man sollte sich auch nicht scheuen, dazu professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen, sich von Trainern und Sportpsychologen begleiten zu lassen. Es kann auch helfen, dass das Pferd während dieser Zeit von jemand anderem mitgeritten wird, denn unsere Unsicherheit wirkt sich auch negativ auf das Pferd aus.
Und was ist, wenn der langjährige vierbeinige Partner in Rente gehen muss und man vor der Entscheidung steht, ob man mit dem Reiten aufhört?
Grundsätzlich ist man nie zu alt fürs Pferd. Ein ganzes Leben lang gibt es unterschiedliche Phasen, in denen man mal mehr und mal weniger Zeit fürs Reiten hat. Sei es, dass Kinder kommen und die Familie im Vordergrund steht oder aber der Beruf einem kaum Raum lässt. Wenn einem das Pferd und das Reiten wirklich am Herzen liegen, wird man eine Möglichkeit finden, diese Leidenschaft der jeweiligen Lebensphase anzupassen. Das ist manchmal nicht so einfach, aber lässt sich durchaus machen – nicht zuletzt mit Unterstützung anderer.
Wir danken für das Gespräch.
Zur Person:
Johanna Constantini, PhD,
ist Klinische-, Sport- und Arbeitspsychologin sowie Autorin mit Praxis in Innsbruck, Tirol. Ursprünglich aus dem Pferdesport kommend, entdeckte sie früh ihre Leidenschaft für die (Sport-)Psychologie und das mentale Training. Seit Jahren ist sie in der Sportpsychologie vermehrt im Pferdesport tätig, hat vielfach Funktionen im Österreichischen Pferdesportverband übernommen und begleitet Einzelathletinnen und -athleten verschiedener Disziplinen. Sie gibt Seminare und schreibt Kolumnen für zahlreiche Print- und Onlinemagazine. Johanna Constantini war selbst erfolgreich im Springreiten bis zur Schweren Klasse und die Pferde gehören nach wie vor zur Familie.
Foto: Birgit Pichler