Körperpolizei im Einsatz
Das Immunsystem beim Pferd
Unsere Pferde wie auch wir sind, meist ohne es zu merken, ständig Angriffen von potentiell gefährlichen unbelebten wie belebten Eindringlingen ausgesetzt. Alles, was nicht körpereigen ist, kann Probleme machen – fremde Substanzen und Lebewesen haben bis auf wenige, aber wichtige Ausnahmen im Organismus nichts verloren.
Das wird streng kontrolliert und wo nötig auch reglementiert: Das Immunsystem hat die Aufgabe, den Organismus unserer Pferde bestmöglich vor diesen Gefahren zu schützen. Die Arbeit dieses äußerst schlagkräftigen und wachsamen Systems ähnelt so ein bisschen der Funktion, die im menschlichen Sozialverbund von der Polizei übernommen wird.
Achtung, hier spricht die Polizei!
In unserer menschlichen Gesellschaft hat die Polizei die Aufgabe, im Auftrag des Staates Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten und wo nötig wieder herzustellen. Sie erfüllt eine große Vielzahl an Funktionen, von der Regelung und Überwachung des Straßenverkehrs bis zur Verfolgung schwerer Straftaten. Dabei darf sie sich verschiedener Mittel bedienen, die einem Bürger normalerweise nicht zur Verfügung stehen. Trotz ihrer Befugnisse und der guten Ausstattung auch im Rahmen der Ausbildung ist die Polizei nicht unfehlbar – wo Menschen agieren, ist ein gewisses Ausmaß an Irrtümern, Missgeschicken und Versehen programmiert. Und nicht immer haben präventive Maßnahmen auch den gewünschten Erfolg, sodass es auch trotz Polizeipräsenz zu Straftaten kommt.
Die Aufgaben, aber auch die Grenzen des Immunsystems unserer Pferde werden verständlicher, wenn man es als „Körperpolizei“ versteht. Im Organismus sorgen verschiedene Einheiten dieser Körperpolizei für Recht und Ordnung: Streifenpolizisten sind überall unterwegs, haben die Lage immer im Blick, greifen notfalls rasch ein und holen sich bei Bedarf auch Verstärkung. Die Kriminalpolizei des Organismus kommt eingedrungenen Verbrechern auf die Schliche, prüft die Spurenlage, identifiziert Übeltäter und schaltet sie aus. Überall im Körper verteilte Stützpunkte stellen sicher, dass keine Körperregion lange auf Hilfe warten muss. Das Waffenarsenal ist breit gefächert und kann bei Bedarf sehr schnell an die aktuelle Lage angepasst werden. Kurz: Das Immunsystem als Körperpolizei ist ein in der Breite wie in der Tiefe gut aufgestelltes Instrument der Gesunderhaltung. Als Pferdebesitzer allerdings werden wir uns dessen oft erst bewusst, wenn es versagt, überfordert ist, zu kämpfen hat. Dann stellen sich Pferdefreunde die Frage, wie es dazu kommt und was getan werden kann, um die Körperpolizei bei ihren schwierigen Aufgaben zu unterstützen. Dazu müssen wir verstehen, was das Immunsystem kann und was nicht und an welchen Punkten tatsächlich helfend eingegriffen werden kann.
Eigen oder fremd? Harmlos oder gefährlich?
Tagtäglich, eigentlich ununterbrochen, sieht sich jedes Pferd mit einer wichtigen Aufgabe konfrontiert: An allen Kontaktflächen mit der Umwelt müssen Keime und Substanzen kontrolliert und korrekt eingeordnet werden, um Gefahren auszuschalten. Auf der Haut, in den Atemwegen, im Verdauungstrakt muss nicht nur entschieden werden, ob etwas zum Organismus gehört oder nicht, sondern auch, ob davon eine Gefahr ausgeht. Eine weitere wichtige Aufgabe: Im Körperinneren gilt es, auffällige eigene Zellen, bei denen etwa in der Zellteilung ein Fehler unterlaufen ist, frühzeitig zu eliminieren. Nicht alles, was fremd – also nicht körpereigen ist – ist gefährlich und nicht alles, was zum Organismus gehört, ist harmlos.
Mit jedem Happen Futter nimmt unser Pferd Fremdstoffe und anhaftende Fremdorganismen auf. Mit jedem Atemzug inhaliert es anorganische Stäube, Sporen, Keime. Beim Wälzen, Schubbern, bei jeder Berührung, mit jedem landenden Insekt entsteht ein Kontakt mit etwas, das nicht zum Organismus gehört. Es wäre aber nicht sinnvoll, hier eine völlig undurchlässige Barriere zu errichten oder unterschiedslos alles abzutöten, was an fremden Zellen am und im Pferd haftet. Futteraufnahme und Atmung sind zwingend damit verbunden, dass nicht zum Pferd gehörende Stoffe und Lebewesen aufgenommen werden – das Pferd muss aber einen Kontrollmechanismus haben, der entscheidet „Haferkorn, lecker, kann bleiben“ oder „Durchfallerreger, schädlich, weg damit“.
Zudem muss der Pferdeorganismus „wissen“, dass bestimmte Keime an bestimmten Stellen nicht etwa schädlich, sondern wichtig und richtig sind, während anderswo andere Regeln gelten. Das Mikrobiom auf der Haut oder im Darm etwa muss vom Immunsystem des Pferdes verschont bleiben, damit es seine Aufgaben erfüllen kann, während dieselben Keime etwa in der Blutbahn eine echte Gefahr sind und möglichst eliminiert werden. Körpereigene Zellen und Gewebe grundsätzlich zu schonen und nur auf alles loszugehen, was als fremd erkannt wird, ist auch keine praktikable Lösung, denn das Immunsystem hat auch die Aufgabe, etwa gefährlich mutierte körpereigene Zellen zu eliminieren – Stichwort „Tumorzelle“.
Bevor das Immunsystem unserer Pferde überhaupt irgendwo eingreift, hat es also bereits wichtige Entscheidungen treffen müssen. Es muss in der Lage sein, fremd von körpereigen, gefährlich von harmlos zu unterscheiden, aber auch bei einer und derselben Substanz, einem und demselben Keim zu differenzieren zwischen „hier harmlos“ und „dort gefährlich“. Eine Mammutaufgabe… noch vor der eigentlichen Arbeit!
Was genau ist das„Immunsystem“?
Dieses biologische Abwehrsystem verleiht höheren Lebewesen die Fähigkeit, sich gegen Krankheitserreger, aber auch gegen fremde Substanzen oder veränderte eigene Zellen zu wehren und so Schädigungen der eigenen Körpersubstanz und -funktionen zu verhindern. Das Immunsystem verfügt über ein ganzes Arsenal von Abwehrmaßnahmen, die nur zusammen wirklich effektiv sind. Es lassen sich zwei Anteile grundsätzlich unterscheiden.
Mit seiner angeborenen oder unspezifischen Immunantwort wehrt sich der Organismus durch verschiedene Maßnahmen gegen potentiell gefährliche Substanzen und lebende Organismen. Die Informationen für diese Abwehrmaßnahmen sind im Erbgut fest verankert und unveränderbar. Zur unspezifischen Immunantwort werden mechanische Barrieren und bestimmte Körperfunktionen gerechnet. Sie sollen potentiell schädliche „Fremdlinge“ daran hindern, in das Innere des Organismus vorzustoßen oder unterstützen den Körper dabei, bereits eingedrungene Mikroorganismen und Stoffe so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Zu diesen Abwehrmaßnahmen gehören Haut und Schleimhäute, aber auch Tränenfluss, Urinfluss und Darmentleerung. Zudem verfügt der Organismus über bestimmte Zellen, die auf die Bekämpfung von problematischen Organismen – Keime, Tumorzellen oder von Viren befallene Körperzellen – spezialisiert sind. Diese Granulozyten, Makrophagen, Killerzellen und andere werden im Knochenmark gebildet und finden sich überall im Organismus. Sie verfügen über ein ganzes Arsenal an Gegenmaßnahmen, können beispielsweise Krankheitserreger regelrecht auffressen oder Kollegen zur Unterstützung gezielt zum Ort des Geschehens locken. Der dritte Baustein der unspezifischen Immunantwort besteht in bestimmten Plasmaproteinen, die sich im Blut und in der Gewebsflüssigkeit befinden. Diese Gruppe von Abwehrmechanismen wird auch „Humorales Immunsystem“ genannt, von lat. humor, „Flüssigkeit“. Während die zelluläre Abwehr sich auch aktiv an den Ort des Geschehens begeben kann, zirkulieren diese Plasmaproteine passiv. Es lassen sich das Komplementsystem und die Interleukine unterscheiden: Die Plasmaproteine des Komplementsystems wirken auf verschiedene Weise direkt abwehrend auf die Eindringlinge, während die Interleukine die Bildung und Aktivität von Leukozyten positiv beeinflussen.
Das zweite Standbein des Immunsystems wird adaptive (sich anpassende) oder auch spezifische Immunantwort genannt. Es sind entwicklungsfähige Mechanismen, es ist ein lernendes System, mit Strategien, die punktgenau gegen bestimmte Fremdorganismen agieren. Im Mittelpunkt der adaptiven Immunantwort steht eine Reaktion zwischen Antigenen und Antikörpern. Antigene nennt man oft aus Proteinen, aber auch aus anderen Stoffen bestehende, jeweils typische dreidimensionale Strukturen von Angreifern – eine Art „Personalausweis“ für Krankheitserreger, so individuell wie ein Fingerabdruck. Das spezifische Immunsystem ist in der Lage, auf diese Antigene zu reagieren, sie zu erkennen und gezielte Abwehrmaßnahmen zu ergreifen. Dazu gehört vor allem die Bildung von Antikörpern (auch Immunglobuline genannt) durch Plasmazellen. Antikörper sind Moleküle mit eigenen Strukturen, die genau auf die der Antigene passen, wie ein Schlüssel ins Schloss. Durch diese Antigen-Antikörper-Reaktion wird eine ganze Reihe von Maßnahmen ermöglicht, durch die letztendlich der Angreifer unschädlich gemacht werden kann. Der Clou: Der Körper merkt sich, mit wem es schon einmal Probleme gab, er entwickelt ein Gedächtnis für erlebte Auseinandersetzungen mit Antigenen und kann dann viel schneller reagieren, wenn derselbe Typ Angreifer noch einmal in Kontakt kommt. Auf diesem Wirkprinzip basieren übrigens Impfungen.
Gemeinsamkeiten & Unterschiede
In allen Pferden sind beide Standbeine der Immunantwort angelegt. Alle Pferde verfügen grundsätzlich über dieselbe angeborene Immunantwort, während die spezifische Immunantwort sich von Individuum zu Individuum mehr oder weniger stark unterscheidet, je nachdem, welche Erfahrungen mit Antigenen bereits gemacht wurden und welches „Gedächtnis“ daraus aufgebaut wurde. Auch im Verlauf des Lebens verändert sich die spezifische Immunantwort und passt sich stetig an.
Diese Grundlage unterliegt Einflüssen, die auf den ersten Blick nichts mit dem Abwehrsystem selbst zu tun haben. Die Psychoimmunologie, die Zusammenhänge und Verflechtungen zwischen der Leistungsfähigkeit des Immunsystems und der psychischen Verfassung des Lebewesens untersucht, hat herausgefunden, dass Angst, Depression und Stress das Immunsystem des Menschen ausbremsen können, während eine positive Grundhaltung und förderliche Lebensumstände es stärken. Es kann als sicher angenommen werden, dass diese Zusammenhänge im Prinzip auch beim Pferd wirksam sind und glückliche Pferde im Vergleich mit weniger begünstigten Artgenossen über ein belastbareres Immunsystem verfügen.
Das Alter des Pferdes hat ebenfalls Einfluss: Bei neugeborenen Fohlen muss das Immunsystem zunächst durch die Biestmilch der Mutter unterstützt werden, bevor es selbst so richtig in Gang kommt, bei alten Pferden nehmen die Abwehrkräfte oft allmählich ab und sie werden anfälliger für Infektionen. Auch der Zustand des Magendarmtraktes kann das Immunsystem beeinflussen, insbesondere der Darm inklusive Besiedelung mit Mikroorganismen scheint eine wichtige Rolle zu spielen. Vorerkrankungen können ebenfalls eine Rolle spielen: So weiß man beispielsweise vom Cushing-Syndrom des Pferdes, dass es zu einer erhöhten Infektanfälligkeit führen kann, obwohl das Immun-system selbst von dieser Stoffwechselerkrankung auf den ersten Blick nicht tangiert wird. Selbst das Sommerekzem schwächt die Haut als mechanische Barriere und macht sie angreifbar etwa für Keime.
Starkes Immunsystem, gesundes Pferd
Unsere Pferde sollen fit und fröhlich durchs Leben gehen und uns bei guter Gesundheit möglichst lange begleiten – dazu brauchen sie ein leistungsfähiges Immunsystem. Es muss in der Lage sein, der alltäglichen Gefahr durch Krankheitserreger, Fremdsubstanzen oder veränderte Körperzellen effektiv zu begegnen und sollte gleichzeitig nicht selbst zum Problem werden – Stichwort Allergie. Hilfe erfährt das Immunsystem vor allem ganz klassisch durch Tierarzt oder Tierheilpraktiker. Zudem versucht der Pferdehalter häufig, die körpereigene Abwehr auch selbst zu unterstützen, etwa durch die Gabe von Zusatzfuttermitteln…
Lesen Sie hier den gesamten Artikel…
Text und Foto: Angelika Schmelzer