Körper-Chemie

Der Stoffwechsel unserer Pferde

Jeder Organismus ist ein wahres Wunderwerk der Natur: Im Körper unserer Pferde sind gleichzeitig ständig viele Prozesse aktiv, oft eng vernetzt, sich gegenseitig regulierend, mit einer Vielzahl von Auswirkungen und Abhängigkeiten. Bricht man diese Abläufe auf gemeinsame Nenner herunter, so fallen viele in die Kategorie „Physik“: Dann geht es etwa um Mechanik, um Optik, um die Erzeugung und Weiterleitung von Elektrizität, um Druckregulation. Andere Vorgänge gehören in die Kategorie „Chemie“: Stoffe werden zerlegt, zusammengesetzt, Substanzen abgebaut, umgewandelt. Und nicht wenige Prozesse verknüpfen sogar ganz geschickt physikalische und chemische Vorgänge.

Mit eben dieser Körperchemie, „Stoffwechsel“ oder auch „Biochemie“ genannt, wollen wir uns einmal näher beschäftigen. Warum? Weil der Begriff des Stoffwechsels zwar im Zusammenhang mit zahlreichen gesundheitlichen Störungen unserer Pferde häufig auftaucht, aber oft missverstanden wird und weil es gerade rund um Stoffwechselprobleme nicht wenige Unklarheiten gibt, die effektiver Vorbeugung und durchgreifender Besserung oder gar Heilung im Weg stehen können. Was also versteht man unter dem Stoffwechsel? Wie arbeitet er? Was wissen wir über die häufigsten Stoffwechselerkrankungen unserer Pferde und über ihre Auswirkungen auf Wohlbefinden,
Leistungsfähigkeit, Lebensqualität?


Stoffwechsel: Aus A mach´ B
Immer dann, wenn in einem Lebewesen Stoffe umgewandelt werden, sprechen wir vom Stoffwechsel. Stoff-Wechsel – ein Wechsel von einem Stoff in einen anderen. Dies dient unterschiedlichen Zwecken: Mal geht es um Körpersubstanz, also etwa um Muskulatur, Fettspeicher, Knochen oder die Leber. Kontinuierlich werden Auf-, Ab- und Umbauvorgänge betrieben und die Gesamtheit dieser Vorgänge nennt man auch „Baustoffwechsel“. Mal geht es um den Antrieb, den Motor des Lebens – es geht um Energie. Irgendwie muss ja das „Benzin“ für den Organismus bereitgestellt werden und das ist Aufgabe des Energiestoffwechsels. Fragen wir nach der grundsätzlichen Aufgabe im Gesamtstoffwechsel, können wir also Baustoffwechsel und Energiestoffwechsel unterscheiden. Interessant kann aber auch die Frage nach den beteiligten chemischen Substanzen sein. So lassen sich beispielsweise Eiweiß-, Fett- oder Mineralstoffwechsel voneinander trennen. Von großer Bedeutung für unsere Pferde ist beispielsweise der Zuckerstoffwechsel. Und sieht man sich die chemischen Prozesse an, geht es manchmal vom Einfachen zum Komplexen – anabole Vorgänge – und manchmal vom Komplexen zum Einfachen – katabole Vorgänge. An der Schnittstelle finden wir den Intermediärstoffwechsel.
All diese komplexen, mehrfach vernetzten Vorgänge müssen gesteuert werden. Als generelles „Antriebssystem“, als Regler für die Energiebereitstellung lässt sich die Stoffwechselrate ausmachen. Dieses Maß für den Energieumsatz eines Lebewesens hängt etwa von dessen aktueller körperlichen Aktivität ab. Natürlich wird die Stoffwechselrate eng überwacht und fein gesteuert. Hormone – das endokrine System – sind dafür zuständig, auch im Abgleich mit der inneren Uhr eines Pferdes das richtige Maß an Energiebereitstellung zu sichern. Beteiligt ist dabei beispielsweise die Schilddrüse.
Unterstützt wird der Stoffwechsel, werden diese Umwandlungsprozesse durch Enzyme, chemische Katalysatoren. Die Mehrzahl aller Stoffwechselprozesse wird von diesen Proteinen so begleitet, dass sie schneller, leichter, einfacher ablaufen. Ein Fehler in der Bereitstellung dieser vom Körper produzierten Katalysatoren wirkt sich direkt nicht nur auf den unterstützten Prozess aus, sondern auch auf die daran beteiligten Stoffe. Eine weitere zentrale Rolle in der Steuerung der Stoffwechselaktivität spielen Hormone und damit alle Strukturen, die Hormone produzieren, etwa die Schilddrüse oder die Hirnanhangsdrüse (Hypophyse). Hormone sind biochemische Botenstoffe, die zahlreiche untergeordnete Regelkreise des Stoffwechsels beeinflussen.
Welche Schlüsse lassen sich ziehen? „Stoffwechsel“ ist keinesfalls ein Synonym für „Verdauung“, sondern bezieht alle chemischen Vorgänge im Körper ein. Das äußerst komplexe Zusammenspiel der zahlreichen Prozesse wird intern gesteuert, auch in Abhängigkeit von äußeren Bedingungen wie etwa Temperatur oder Tageszeit. Der Stoffwechsel ist eine immerwährende Komponente im Organismus, eine Art Hintergrundmusik des Lebens. Da liegt es auf der Hand, dass bei jedem aktuellen Zustand des Pferdes – ob gesund oder krank – der Stoffwechsel ein Teil des großen Ganzen ist, dass Krankheiten und Befindlichkeitsstörungen immer auch Auswirkungen auf den Stoffwechsel haben und umgekehrt. Stoffwechsel ist immer und überall. Und daraus dürfen wir durchaus folgern: Ist das Pferd krank, ist IMMER auch sein Stoffwechsel irgendwie involviert. Hier gilt es aber, Henne und Ei sorgfältig auseinander zu halten: Jede Erkrankung wirkt sich irgendwie auf den Stoffwechsel aus, das macht aber nicht jede Krankheit zu einer Stoffwechselstörung. In der (Veterinär-)Medizin ist klar definiert, was eine Stoffwechselerkrankung ist und was nicht.


Wenn die Chemie nicht (mehr) stimmt…
Das Wesen einer Stoffwechselstörung wird deutlich, wenn man sich das grundlegende Prinzip der Chemie verdeutlicht – aus A mach´ B – und vor Augen hält, dass Stoffwechsel Körperchemie ist und Stoffwechselstörungen Fehler in diesem System zugrunde liegen.
Wenn normalerweise, angeregt durch ein Hormon und unterstützt durch ein Enzym, Stoff A zu Stoff B wird, kommt es bei einem Mangel oder Ausfall dieses Enzyms (oder einem Mangel an dem Hormon, das dessen Bildung anregt) zu einer Anhäufung von Stoff A und einem Mangel an Stoff B, bei einer übermäßigen Aktivität des Enzyms (dito: Hormon) hingegen zu einem Mangel an Stoff A und einer Anhäufung von Stoff B. Bedenkt man, dass die Umwandlung von A zu B immer auch ein winziges Glied einer endlos langen und noch dazu mehrfach verzweigten Kette von Vorgängen ist, sind die Folgen jeder Störung der physiologischen, von Enzymen und Hormonen gesteuerten Vorgänge – jeder Stoffwechselstörung – leicht auszumalen: Sie sind häufig dramatisch und gefährden den Organismus als Ganzes.
Bei der Diagnose von Stoffwechselstörungen stützt man sich nicht alleine auf Symptome, denn die sind oft vor allem anfangs relativ unspektakulär und/oder wenig typisch. Man sucht vielmehr gezielt nach Hinweisen darauf, ob und wo genau einer der vielen in Frage kommenden Regelkreise gestört ist. So können beispielsweise die Blutwerte entsprechender Enzyme oder Hormone, die Ausgangs-, End- oder Nebenprodukte chemischer Reaktionen wichtige Hinweise liefern und sehr häufig das Problem recht schnell eingrenzen und eine exakte Diagnose ermöglichen – und damit eine Therapie, die das Übel möglichst an der Wurzel packt. Echte Stoffwechselstörungen sind oft angeboren, teils aber auch erworben. Bei einem Teil der Stoffwechselerkrankungen unserer Pferde bestehen zudem enge Verknüpfungen mit der Art und Weise, wie das Pferd gefüttert und gearbeitet wird.
In diesem Zusammenhang spricht man dann auch von den „Wohlstandskrankheiten“ oder „Zivilisationserkrankungen“ der Pferde. Doch: Nicht jede Stoffwechselstörung ist eine Zivilisationserkrankung. Nicht jeder Störung des Stoffwechsels liegt eine Stoffwechselerkrankung ursächlich zugrunde. Es kann festgestellt werden, dass rund um den Themenkomplex „Stoffwechsel“ wenig trennscharf mit an sich gut definierten Begriffen umgegangen wird, oft zum Nachteil erkrankter Pferde und ihrer Besitzer. Die Umdeutung harmloser Anzeichen (Hafertaler im Fell) zu Symptomen einer Stoffwechselstörung, die falsche Zuordnung bestimmter Erkrankungen in den Bereich der Stoffwechselstörung und/oder der Zivilisationserkrankung kann dazu führen, dass betroffene Pferde nicht die Hilfe bekommen, die sie brauchen. Allerdings schadet es auch nicht, jede Erkrankung ganzheitlich zu betrachten und sich immer zu fragen, was denn über die ursächliche Behandlung hinaus dem Pferd an begleitenden Maßnahmen noch zu helfen vermag.

Text: Angelika Schmelzer