Schlafstörungen beim Pferd

Narkolepsie und Pseudo-Narkolepsie
Richtig gut schlafen können – nicht nur für uns Menschen eine Grundvoraussetzung für Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit. Nicht zufällig ist immer vom „gesunden Schlaf“ die Rede. Unseren Pferden geht es da nicht anders, auch für sie ist der Schlaf eine überlebenswichtige Funktion. Kommt es zu Schlafstörungen, so erleidet der Organismus Schaden – das gilt für uns Menschen ebenso wie für unsere Pferde.
Der Schlaf ist ein komplexes und nach wie vor in weiten Teilen rätselhaftes Phänomen, obwohl er gerade unter höher entwickelten Lebewesen des Tierreichs Standard ist. Aufgrund seiner immensen Bedeutung ist der menschliche Schlaf schon lange Zeit Gegenstand intensiver Forschungen. Obwohl man inzwischen viel Wissen rund um den Schlaf zusammengetragen hat – Änderungen von Gehirnaktivität, Puls, Blutdruck und Atmung, die mit dem Schlaf einhergehen und deutliche Unterschiede zum Wachzustand aufzeigen, Statistiken zu Schlafphasen, altersbezogenem Schlafbedürfnis und Schlafdauer, Forschungen zu REM-Schlaf und Non-REM-Schlaf, Untersuchungen zu geschichtlichen und kulturellen Unterschieden – konnte bislang noch nicht abschließend geklärt werden, warum man schläft und was genau dabei passiert. Sicher ist: Schlaf ist (nicht nur) für den Menschen überlebensnotwendig und essentiell für Gesundheit und Wohlbefinden, aber auch für die Reifung des Zentralnervensystems während des Heranwachsens und die Aufrechterhaltung physiologischer Funktionen des ZNS.
Phänomen „Schlaf“
Doch auch im Tierreich finden Schlafforscher ein reiches Betätigungsfeld und haben faszinierendes herausgefunden. Was unsere Pferde angeht, haben wir es lange Zeit bei der (irrigen oder zumindest überholten) Annahme „Pferde schlafen im Stehen“ belassen, doch heute wird auch dieses Thema intensiv erforscht – teilweise mit Methoden, wie sie ähnlich in einem Schlaflabor für Menschen angewendet werden. Verhaltensforscher beschäftigen sich mit dem Ruheverhalten der Pferde, andere Wissenschaftler erforschen die Physiologie des Schlafes. So kann etwa mittels einer Polysomnographie (dabei werden zahlreiche Körperfunktionen technisch überwacht und aufgezeichnet, etwa Hirntätigkeit, Herzschlag, Blutsauerstoff, Atmung usw.) eine Fülle an Daten erhoben und ein individuelles Schlafprofil erstellt werden. In den letzten Jahren wurde auch vermehrt Grundlagenforschung in Sachen Schlaf und Schlafstörungen beim Pferd betrieben. Für Pferdehalter sind manche dieser Erkenntnisse von großer Bedeutung – nur wer weiß, wie Pferde gut schlafen, kann die passenden Rahmenbedingungen schaffen. Zudem sind auch bei Pferden Schlafstörungen bekannt, wobei Narkolepsie und Pseudo-Narkolepsie zu den bekanntesten Formen gehören. Mit Wissen rund um den Schlaf lassen sich nicht nur Gesundheit und Leistungsfähigkeit unserer Pferde verbessern, sondern auch manche Schlafstörungen verhindern.
Wie schlafen unsere Pferde?
Das weiß wohl jeder Pferdefreund: „Pferde schlafen im Stehen“ – doch inzwischen wissen wir, dass dies nicht so ganz richtig ist. Tatsächlich spielt die Ruhe im Stand für das Fluchttier Pferd eine große Rolle, doch so richtig fest geschlafen wird nur im Liegen. Viele weitere Erkenntnisse der Schlafforschung ergeben zudem, dass sich das Schlafverhalten des Pferdes ganz wesentlich von dem des Menschen unterscheidet.
Was sollten Pferdefreunde wissen?
Pferde schlafen polyphasisch. Sie ruhen insgesamt etwa fünf bis neun Stunden täglich (Jungtiere erheblich länger), aber nicht „am Stück“ wie wir, sondern in vielen, oft kurzen Episoden von durchschnittlich etwa 20 Minuten, teilweise aber auch bis zu über eine Stunde.
Pferde schlafen im Liegen und ruhen im Liegen oder im Stand. Beim Ruhen im Stehen, der am wenigsten intensiven Form der Ruhe, zeigen Pferde ein typisches „Dösgesicht“ und entlasten abwechselnd die Hinterbeine. Intensivere Erholung erfährt das Pferd in Brustbauchlage, wo oft die Augen geschlossen sind und der Kopf aufgestützt wird. In Seitenlage erholt sich das Pferd am intensivsten, es liegt nun ganz flach auf einer Körperseite. In dieser Position kann der Pferdebesitzer häufig auch Bewegungen und Lautäußerungen beobachten, die Hinweise auf ein mögliches Traumgeschehen sein können.
Pferde zeigen Non-REM-Schlaf und REM-Schlaf. Man vermutet heute, dass der REM-Schlaf überwiegend der neurologischen und psychischen, der NON-REM-Schlaf vor allem der physischen Regeneration dient. Die für den REM-Schlaf typischen Anzeichen zeigen Pferde fast ausschließlich beim Schlaf in Seitenlage. Um sich komplett zu regenerieren, müssen Pferde demnach ausreichend Gelegenheit zum Tiefschlaf in Seitenlage haben.
Wichtig für den Pferdefreund: Pferde haben arttypische und damit unveränderliche Bedürfnisse hinsichtlich des Schlafverhaltens. Intensiver, erholsamer Schlaf ist an bestimmte Bedingungen geknüpft: Er findet nur in vertrauter Umgebung und vorzugsweise an Rundumsicht bietenden Plätzen statt. Pferde legen sich bevorzugt auf trockenem Boden ab, nasser Untergrund wird vermieden. Beim Schlafen und Ruhen im Stehen und Liegen verringern sich die Sozialabstände, Pferde suchen nun noch mehr die Nähe und den Schutz der Artgenossen. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die dieses Schlafverhalten unterstützen – jedes Pferd muss also zu jeder Zeit ein Umfeld vorfinden, das Ruhe und Schlaf ermöglicht. Gesunder Schlaf ist direkt mit artgerechten Haltungsbedingungen und gutem Management verknüpft. Und was kann passieren, wenn dafür nicht gesorgt wird? Im „besten“ Fall hat man ein Pferd, das dauerhaft unter mangelnder Erholung mit den entsprechenden Folgen leidet, im schlimmsten Fall wird es krank. Sehr krank.
Schlafstörungen beim Pferd
Es ist ein erschreckendes Bild: Ein Pferd senkt den Kopf, wird in der Vorhand instabil, beginnt zu taumeln und bricht zusammen. Betroffene Pferde können sich beim unkontrollierten Niederbrechen schwere Verletzungen zuziehen. Oft werden diese Symptome als Anzeichen einer Narkolepsie interpretiert, einer vom Menschen bekannten neurologischen Erkrankung, die mit starker Tagesschläfrigkeit und plötzlichem, nicht beeinflussbarem Einschlafen während des Tages sowie häufig auch mit nächtlichen Schlafstörungen einhergeht – doch diese Einschätzung führt eher in die Irre, wie Forscher herausgefunden haben.
Narkolepsie kommt zwar auch beim Pferd vor, ist aber sehr selten. Häufig sind die beschriebenen Symptome völlig anderen Ursprungs und lassen sich schlicht auf Schlafmangel, genauer, auf einen Mangel an REM-Schlaf zurückführen. Die Pferde sind so sehr übermüdet, dass sie regelrechte „Schlafattacken“ bekommen, die sich allerdings an einigen Merkmalen ganz deutlich von den bei einer Narkolepsie auftretenden Anfällen unterscheiden. Diese Schlafstörung durch Schlafmangel wird deshalb „Pseudo-Narkolepsie“ genannt. Bei der Diagnose müssen auch andere gesundheitliche Störungen ausgeschlossen werden, die etwa neurologischer Art sind, den Stoffwechsel betreffen oder ihren Ursprung in Problemen mit der Muskulatur haben – ein Niederbrechen aufgrund von Schwäche ist keine Schlafstörung.
„Echte“ Narkolepsie oder Pseudo-Narkolepsie – was genau unterscheidet diese beiden Erkrankungen?
Unter einer Narkolepsie beim Pferd versteht man eine seltene, genetisch bedingte Erkrankung, die typischerweise mit einer Kataplexie einhergeht, einer durch Emotionen ausgelösten Herabsetzung des Muskeltonus, was dann zu anfallsartigem Taumeln und Niederbrechen führt. Diese Erkrankung scheint familiär gehäuft bei bestimmten Rassen aufzutreten, etwa bei Lipizzanern, Miniponys, Shetland Ponys und anderen, sie tritt aber auch bei anderen Rassen vereinzelt auf.
Typisch für diese Schlafstörung ist der Zusammenhang mit Aufregung, mit der Wahrnehmung von Reizen, mit Emotionen, beispielsweise ausgelöst durch Berührung, im Spiel oder beim Austrieb auf die Weide – es passiert gerade etwas. Vereinzelt scheinen die Episoden allerdings auch ohne einen erkennbaren Auslöser aufzutreten. Immer geschieht es plötzlich: Die Pferde brechen ohne Vorwarnung zusammen, kollabieren, stürzen nach vorne. Sie können noch im Niederbrechen wieder aufwachen oder kommen zum Liegen, bevor sie sich erholen. Durch das unkontrollierte Ablegen erleiden sie Verletzungen vor allem an den Gliedmaßen und am Kopf. Da diese Störung angeboren ist, sind die Anzeichen bereits im Fohlenalter zu beobachten. Bei vielen Pferden scheinen sich die Symptome mit der Zeit abzuschwächen, sodass erwachsene Pferde weniger auffällig sind. Eine ursächliche Behandlung oder gar Heilung ist bei dieser genetisch bedingten Erkrankung nicht möglich, es können lediglich Medikamente eingesetzt werden, durch die sich die Symptome lindern lassen.
Ganz anders die Pseudo-Narkolepsie, der REM-Schlafmangel: Typisch ist hier ein Auftreten in Phasen der Ruhe und Entspannung. Es wird dann beobachtet, dass im Stand ruhende, dösende Pferde allmählich einknicken und niederbrechen, sich dabei aber wieder fangen und völlig erwachen. Das Geschehen macht den Eindruck, als würden die Pferde zunächst im Stand wach oder dösend stehen, könnten diesen Zustand aber aufgrund übermächtiger Müdigkeit nicht einhalten und würden gegen ihren Willen kurzzeitig im Stehen einschlafen und dabei einbrechen. Sie legen sich nicht kontrolliert ab, sondern verfallen immer wieder in diesen Zustand des (Beinahe-)Zusammenbruchs und anschließenden völligen Erwachens.
Oft wird gleichzeitig auffallen, dass sich betroffene Pferde nie zum Tiefschlaf ablegen und fest zum Schlafen kommen – der Rückschluss in Richtung Schlafmangel drängt sich dann auf. Manchmal geben auch Leistungseinbußen oder unerklär-liche Schürfwunden Hinweise auf diesen Zustand, wenn konkrete Beobachtungen fehlen. Anhand einiger Merkmale lässt sich der REM-Schlafmangel erkennen und von anderen mög-lichen Ursachen für diese Symptomatik – etwa Kreislaufprobleme mit folgender Minderdurchblutung des Gehirns oder epileptische Anfallsformen – abgrenzen und vor allem von der echten Narkolepsie unterscheiden: Die Pseudo-Narkolepsie tritt nicht schon beim Fohlen, sondern erst beim erwachsenen, vor allem beim älteren Pferd auf und wird nicht im Zusammenhang mit Emotionen und Aufregung deutlich, sondern zeigt sich dann, wenn das Pferd sich sowieso eher in einem Zustand der Ruhe befindet.
Heilsamer Schlaf ist möglich
Die gute Nachricht für Patientenbesitzer: Die meisten von unklaren Schlafattacken betroffenen Pferde leiden vermutlich nicht unter der sehr seltenen genetisch bedingten und deshalb nicht ursächlich heilbaren echten Narkolepsie, sondern unter der nicht minder belastenden, aber eben gut therapierbaren Pseudo-Narkolepsie, einem Mangel an REM-Schlaf. Ursache sind dann Haltungsbedingungen, die diesem Pferd einen erholsamen Tiefschlaf unmöglich machen. Die Heilung ist entsprechend einfach: Der Pferdehalter kennt die arttypischen Bedürfnisse aller Pferde und sorgt dafür, dass auch sein Pferd schlaffördernde Rahmenbedingungen vorfindet.
Dazu braucht es zunächst geeignete Liegeflächen, die folgende Bedingungen erfüllen:
• Sie bieten genügend Raum, damit sich das Pferd völlig ausgestreckt auf einer Körperseite ablegen kann.
• Sie haben einen geeigneten, griffigen Untergrund, der auch älteren Semestern Halt und Unterstützung beim Ablegen und Aufrichten bietet.
• Sie sind trocken, weich und nach unten warm. Bevorzugt wird Stroh gegenüber Holzspänen, ungeeignet sind völlig einstreulose Untergründe.
Doch auch weitere Faktoren entscheidend mit über Häufigkeit, Dauer und Intensität der erholsamen Schlafphasen: So können etwa schmerzhafte, nicht behandelte Erkrankungen des Bewegungsapparates dazu führen, dass sich betroffene Pferde nur selten und ungern ablegen. Überfüllte oder ungünstig konzipierte Offenstallanlagen bringen es oft mit sich, dass vor allem rangniedrige Pferde überdurchschnittlich häufig gestört und vertrieben werden und so schlicht nicht zur Ruhe kommen. Ständige Orts- oder Stallwechsel, isolierte Haltung ohne unmittelbare Anwesenheit von Artgenossen und allzu viel Unruhe – auch durch dauernde Fluktuation – können dazu führen, dass den Pferden das für entspanntes Liegen auf der Seite notwendige Gefühl der Sicherheit fehlt. An all diesen Stellschrauben muss dann nachgebessert werden. Die Therapie des REM-Schlafmangels durch Haltungsoptimierung ist auch unter Tierschutzgesichtspunkten dringend geboten.
Während die echte Narkolepsie eine kaum lösbare Herausforderung ist, kann die Pseudo-Narkolepsie als Aufforderung an den Halter verstanden werden, die Lebensumstände seines Pferdes zu optimieren. Hier gilt es, arttypische wie auch individuelle Bedürfnisse weitestgehend zu befriedigen – eine Selbstverständlichkeit für Pferdefreunde.
Text und Fotos: Angelika Schmelzer