Wege in die Tiefe

Longieren ist mehr als Rennen im Kreis!

Wer mit der Arbeit auf Distanz vertraut ist, kann sein Pferd durch angepasstes Training sogar bei der Genesung unterstützen. Welche
Möglichkeiten die Arbeit auf dem Zirkel bietet, erklärt Sigrid Weppelmann.

Ein akut erkranktes Pferd, womöglich mit fiebrigem Infekt, benötigt Ruhe und Zeit zur Genesung. Das steht außer Frage. Doch gerade bei chronisch hustenden Pferden mit starker Verschleimung kann Bewegung durchaus angezeigt sein. Stimmen Sie daher mit dem behandelnden Tierarzt ab, ob Bewegung im Krankheitsfall gut tut. Spricht aus tierärztlicher Sicht alles für leichte Arbeit, ist korrektes Longieren eine gute Wahl, vorausgesetzt, Mensch und Pferd sind mit der Arbeit auf Distanz vertraut und das Pferd ist dabei entspannt.
Vor Beginn der Arbeit ist es sinnvoll, ein erreichbares Ziel zu formulieren. Bei einem chronisch hustenden Pferd mit starker Verschleimung beispielsweise wird das Ziel sein, die Atemfrequenz zu erhöhen, den Kreislauf anzuregen und für eine tiefere Atmung zu sorgen. Der Longenführer muss das Pferd genau beobachten. Die Arbeit vom Boden bietet sich dazu an. Im Verlauf der Einheit sind Atmung, Schweißbildung und die mehr oder weniger weit aufgestellten Nüstern zu kontrollieren, um zu vermeiden, dass sich das Pferd überanstrengt.
Bei dem formulierten Ziel wird die körperliche und muskuläre Beanspruchung dem Gesundheitszustand ange-passt. Dem Pferd wird die Möglichkeit geboten, sich mit lang nach vorne gestrecktem, tief getragenem Hals zu bewegen. Durch die Erwärmung des Körpers und die Erschütterungen infolge der Bewegung kann sich Schleim lösen und bei gesenktem Kopf rein mechanisch abfließen. Das Pferd soll entspannt, aber tief atmen.
Durch regelmäßige leichte Bewegung kann auch die Ausdauer des Pferdes nach seiner Genesung wieder gesteigert werden. Dies
geschieht, wenn Trainingsreize gesetzt werden. So kann zum Beispiel die Anzahl der Trabrunden nach und nach erhöht werden oder nach Schritt und Trab Galopp als Gangart hinzugenommen werden. Zuerst kurze Galoppreprisen, dann in Form von Trab-Galopp-Übergängen und schließlich längere Galoppintervalle, wobei die Anzahl der Runden gezählt wird.

Augen und Ohren öffnen

Betrachten wir das Pferd von vorne nach hinten. Bei angestrengter Atmung sind die Nüstern weiter aufgestellt oder sogar gebläht – höchste Zeit für eine Pause. Die Atmung muss, wie der Takt der Bewegung, gleichmäßig und ruhig sein. Wenn die Atmung laut, angestrengt klingt oder durch Husten erschwert wird, muss eine Pause eingelegt werden. Nach einer Arbeitsphase im Galopp kann sich die Atmung des Pferdes im Halten manchmal sogar besser beruhigen als im Schritt. Lassen Sie das Pferd einen Moment stehen. Manchmal kommt es zu einem Stoßseufzer, und dann geht es weiter im Schritt.
Ein gesundes Pferd hat trockene Nüstern. Bei Atemwegserkrankungen kann es zu Nasenausfluss kommen – glasig, milchig, gelblich, zäh oder flüssig. Wenn während der Arbeit an der Longe Sekret in den Nüstern erkennbar ist, ist das ein gutes Zeichen – der Schleim löst sich und fließt ab. Beobachten Sie auch die Schweißbildung während der regelmäßigen Pausen. Fühlen Sie dazu mit der Hand das Fell an Hals und Flanken. Das Pferd darf zwar leicht schwitzen, sollte aber natürlich nicht an seine Leistungsgrenze gebracht werden.
Ein krankes Pferd darf und soll stressfrei bummeln. Eine gesundheitsfördernde Longeneinheit kann deshalb auch mehr Zeit in Anspruch nehmen als die sonst üblichen 20 Minuten. Wichtig ist, dass sich das Pferd nicht überanstrengt.

Mit Gurt und Hilfszügeln

Die oft gestellte Frage „Warum longieren wir überhaupt mit Hilfszügeln und nicht nur mit Halfter oder mit Kappzaum?“ beantworten in unserem Fall das formulierte Ziel und der Weg dahin. Das Pferd soll sich bei langgestrecktem Hals nach vorne-unten dehnen.
Das korrekt ausgebildete Pferd sucht das Gebiss, die Anlehnung oder den Weg in die Tiefe. Diese Anlehnung bietet der Mensch dem Pferd feinfühlig an. Entsprechend der Reitlehre handelt es sich bei der Anlehnung um die stets weich federnde Verbindung zwischen Menschenhand und Pferdemaul. Hilfszügel begrenzen seitlich die Beweglichkeit des Halses. Die ausreichend lang gewählte Verschnallung ermöglicht eine Nickbewegung im Hals nach vorne. An der Longe stehen anstelle der weich federnden Hand demnach die Hilfszügel als Angebot bei der Suche nach dem Gebiss zur Verfügung.
Laufferzügel oder Dreieckszügel eignen sich dafür sehr gut. Sie sind so befestigt, dass die Riemen seitlich durch den Gebissring gleiten. Die Länge des Pferdehalses wird bei langer Verschnallung nicht eingeschränkt. Das Pferd kann den Hals tief tragen. Streckt das Pferd den Hals hoch und drückt dabei den Rücken weg, entsteht ein unangenehmer Druck. Diesem Druck weicht das Pferd bestenfalls nach unten aus. Der Weg führt in die Tiefe.

Verschnallung der Hilfszügel

Die Hilfszügel werden auf beiden Seiten gleich lang verschnallt, denn die Biegung des Pferdes wird erarbeitet und nicht etwa durch einen kurzen inneren Hilfszügel erzwungen. Biegend wirkt die Peitsche in Höhe der Schulter ein. Hängt der innere Hilfszügel leicht durch und der äußere steht an, so ist das Pferd nach innen gestellt. Beim Reiten oder Fahren würde jetzt der innere Zügel oder die Leine nachgefasst.
Hängt der innere Hilfszügel an der Longe durch, ist das ein gutes Zeichen für die funktionierende diagonale Hilfengebung. Der durchhängende Hilfszügel zeigt, dass die innere Halsseite durch die Biegung kürzer ist als die äußere. Die Peitsche weist auf die innere Schulter. Auf der anderen Seite – diagonal dazu – wird das Pferd durch den äußeren Hilfszügel begrenzt. Der äußere Hilfszügel wird so lang verschnallt, dass die äußere Halsseite sich entsprechend der Biegung nach innen dehnen kann. Bei korrekter Biegung steht er leicht an. Ein Wechselspiel von Arbeit in korrekter Biegung und Arbeit auf der Geraden entspannt das Pferd und regt es dazu an, den Hals fallen zu lassen.
Hand aufs Herz: Wie oft wechseln Sie während einer Trainingseinheit an der Longe die Einstellung der Hilfszügel? Einmal verschnallt, bleibt oft alles so, wie es ist – bis zum nächsten Handwechsel. Im Viereck oder Parcours würde das nicht passieren. Der erfahrene Reiter oder Fahrer passt die Länge der Zügel oder Leinen der jeweiligen Arbeitsphase oder Lektion an. Aufgewärmt wird das Pferd bei langem Zügel, gearbeitet mit angenommenem Zügel und es entspannt sich bei hingegebenem Zügel.
Spätestens in fünfminütigem Abstand erfolgt an der Longe ein Handwechsel oder eine angepasste Verschnallung. Muskulatur entwickelt sich nur dann positiv, wenn zwischen Entspannung und Anspannung gewechselt wird. Außerdem führt der regelmäßige Handwechsel dazu, dass beide Seiten des Pferdes gleichmäßig belastet werden. Während des Handwechsels sollten die Hilfszügel ausgeschnallt werden, damit der Hals frei beweglich gestreckt werden kann.
Die Hilfszügel ersetzen im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Reiter- bzw. Fahrerhand. Das gelingt im Hinblick auf die Einwirkung der seitlichen Begrenzung und der angebotenen Begrenzung nach vorne. Alle aktiven, direkt beidseitig einwirkenden Hilfen können mit einer einfachen Longe nicht gegeben werden.
Wir verschnallen die Longe einseitig am inneren Gebissring. Für die gewählte Verschnallung müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein:
• Das Pferd ist mit der Ausrüstung vertraut.
• Es wird in der täglichen Arbeit mit einem normalen Gebiss gearbeitet.
• Das Pferd sucht nicht nur das Gebiss, sondern auch die weich federnde Verbindung zur korrekt einwirkenden Hand.
Ist dies der Fall, kann die Longe am inneren Gebissring verschnallt werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass bei einem unerfahrenen, heftigen oder sich widersetzenden Pferd das Gebiss nach innen aus dem Maul gezogen wird. Dies kann auch durch einen Ruck nach innen passieren, wenn der Longenführer unerfahren ist im Umgang mit der Longe.
Bei dieser gewählten Verschnallung wirkt die Longe nur einseitig nach innen ein. Auch die nachgebenden, annehmenden oder aushaltenden Hilfen wirken demnach nach innen. Wenn statt der einfachen Longe mit einer Doppellonge gearbeitet wird, ist die Einwirkung ähnlich wie beim Reiten beidseitig möglich.
Gebisslose Arbeit ist im Hinblick auf die oft unruhige Menschenhand ein Wohl für das Pferd und eine Herausforderung für den Menschen. Die Arbeit mit Kappzaum bedingt einen absolut passenden Kappzaum und dessen korrekte Verschnallung. Ein Kappzaum wirkt auf die empfindlichen Nerven auf dem Nasenrücken des Pferdes ein. Wer damit umzugehen weiß und korrekt damit arbeitet, kann auch auf diese Weise longieren.

Hilfengebung

An der Longe wird mit weich federnder Hand gearbeitet, auch wenn der Weg von der Hand zum Pferdemaul länger ist als beim Reiten. Der Unterschied zwischen weich federndem Nachgeben aus dem Handgelenk und nicht nachgebender Hand kommt auch auf diese Entfernung im Pferdemaul an. Die Einwirkung kann dadurch erhöht werden, dass der Arm seitlich an der Hüfte angelegt wird. Der Ellenbogen kann bei leichter Muskelspannung aushaltend oder federnd einwirken. Verhaltende, also das Pferd in seinem Vorwärtsdrang begrenzende Hilfen, werden an der Longe unterstützend durch die Körpersprache gegeben..
Das Pferdemaul ist über den Gebissring und die nach innen in den Zirkel führende Longe mit der Hand bzw. dem Longenführer verbunden. Das ist anders als bei der Zügel- oder Leinenführung. Diese führt vom Maul nach hinten zur Hand des Reiters oder Fahrers. Die Befes-tigung im 90°-Winkel vom Pferd zum Longenführer dient auch dem Verbleib auf dem Kreis oder auf der Geraden in
einem gewissen Abstand.
Mit der nachgebenden oder annehmenden Longenhilfe ändern wir – je nach Stärke der Einwirkung – die Stellung des Genicks bis hin zur Biegung im Hals. Auch die nach innen stellende Longenhilfe bis hin zur biegenden Arbeit an der Longe im Wechsel mit Geradeauseinheiten animiert das Pferd dazu, den Hals fallen zu lassen. Die Longe wird dabei kurz angenommen – bei erfahrenen Pferden genügt es, die Hand stehen zu lassen. Dadurch wird das Genick nach innen gestellt. Sofortiges Nachgeben der Longe mit an der Schulter angelegter, unterstützender Peitschenhilfe regt das Pferd an, sich zu biegen. Die Dehnung der äußeren Körper- und Halsseite entspannt das Pferd wiederum.
Im Round Pen könnte die Longe überflüssig werden, wenn das Pferd sehr gut auf Körpersprache bzw. Stimmhilfen reagiert. Es darf nicht, sich selbst überschätzend, außer Kontrolle geraten. Dann ist ein nach außen begrenztes Rondell eine gute Alternative zur Longe. In einem Round Pen kann das gelassene, sich kontrolliert bewegende Pferd frei laufend in die richtige Haltung zum Abhusten
gebracht werden. Manche Pferde entspannen sich so auch ohne direkte Einwirkung sehr gut. Da nicht jeder einen eingegrenzten Longierzirkel zur Verfügung hat, bietet sich die Arbeit an der Longe für die übrigen an.
Gerät das Pferd außer Kontrolle, wird es mit der Longe in Kombination mit Körpersprache gezügelt. Der Longenführer verringert den Abstand zum Pferd und bringt die vom Pferd abgewandte äußere Schulter mehr in Richtung vor das Pferd. Seine Stimme unterstützt die Kommunikation auf Distanz. Das Pferd wird beruhigt, gelobt, zur Raison gerufen oder durch möglichst eindeutige Kommandos aufgefordert, etwas zu tun.
Mit dem formulierten Ziel, den Kreislauf anzuregen und das Pferd zu entspannen, müssen Peitschenhilfen sehr behutsam eingesetzt werden. Die kleinste treibende Hilfe ist das Nachziehen des Peitschenschlages. Fällt der Peitschenschlag dabei eine Pferdelänge hinter die Spur des Pferdes, wirkt das schon treibend. Es kann ratsam sein, bei sensiblen, eifrigen Pferden die Peitsche komplett aus dem Blickwinkel nach hinten zu nehmen. Aufregung muss vermieden werden.

Fazit

Gutes Longieren bleibt gutes Longieren. Wer in der Lage ist, sein Pferd auf Distanz kontrolliert zu arbeiten – ob frei oder mit Ausrüstung – kann sein Pferd gezielt bei der Genesung unterstützen. Holen Sie sich aber in jedem Fall das OK Ihres Tierarztes.

Text: Sigrid Weppelmann, Foto: Frans-Peter Schollen