Hufrehe-Prophylaxe

Wissen schafft Sicherheit

Die Hufrehe oder Laminitis ist eine Erkrankung, die von den meisten Pferdefreunden spontan mit dem Anweiden in einen Zusammenhang gebracht wird. Das ist richtig, denn der Beginn der Weidesaison geht tatsächlich mit einer gestiegenen Gefahr, an Hufrehe zu erkranken, einher – auch wenn es für diese Entzündung der Huflederhaut viele weitere Ursachen gibt.  

Anlass genug, sich die oft so dramatische Störung einmal genauer anzusehen und zu fragen: Was kann jeder Pferdehalter vor allem zu Beginn der Weidesaison vorbeugend tun?  

Oft ist der Verlauf einer akuten Rehe so rasant, sind die Folgen innerhalb kurzer Zeit so gravierend, dass klar ist: Wenn es erst einmal passiert ist, ist es für nicht wenige Pferde schon zu spät…. 

Es gibt viele Ursachen, die eine Hufrehe auslösen können, unterschiedliche Gründe dafür, dass die Mikrozirkulation im Bereich der Huflederhaut gestört und dort eine massive Entzündung ausgelöst wird. Entzündungen gehen nicht nur mit Schmerzen einher, sondern verursachen auch lokale Veränderungen im Gewebe. Die Blutgefäße werden nun plötzlich durchlässig für Blutplasma und Blutzellen – und das ist genau hier besonders fatal.  

Die das Hufbein überziehende Huflederhaut ist eng in die Hornkapsel eingebettet, wobei im gesunden Huf eine reißverschlussähnliche Verzahnung von Hornstrukturen auf beiden Seiten einen sicheren Schluss gewährleistet. Nachteil: Hier ist schlicht kein Platz für austretende Blutflüssigkeit, für entzündliches Exsudat, es gibt kein großräumiges Gewebe, in das sich das Exsudat verteilen könnte. So entsteht ein enormer Druck mit sehr starken Schmerzen, aber es kommt auch durch den Austritt von Flüssigkeit zur Trennung der innen und außen liegenden Hornstrukturen (Lederhautblättchen und Oberhautblättchen).  

Der „Reißverschluss“ öffnet sich, das Hufbein hat nun plötzlich „Spiel“ innerhalb der Hornkapsel und kann sich durch den starken Zug der Beugesehne um die eigene Achse drehen (Hufbeinrotation) und absenken (Hufbeinsenkung), bis es im schlimmsten Fall durch die Hufsohle durchbricht. 

Hufrehe und Weidegang

Solche Entzündungen der Huflederhaut können durch eine Vielzahl von Faktoren ausgelöst werden, im Zusammenhang mit dem Weidegang und hier insbesondere mit dem Weideauftrieb kommt die Hufrehe aber besonders häufig vor. Früher nahm man den hohen Eiweißgehalt des jungen Aufwuchses als Verursacher an, heute sieht man vor allem zwei wichtige Gründe, warum die Gefahr gerade zu Beginn der Weidesaison so hoch ist. 

•Der Übergang von der Stall- zur Weidesaison ist immer mit einem Futterwechsel verbunden: Statt Heu als Grundfutter gibt es nun Weidegras.  

Jeder Futterwechsel erfordert in der Besiedelung des Dickdarms mit Mikroorganismen einen aufwändigen Umbau, der Zeit benötigt. Fehlt diese Zeit, kommt es zum massenhaften Absterben der Bakterien und damit zur Freisetzung von Endotoxinen (Giftstoffen). Diese richten im stark verzweigten Kapillarsystem der Huflederhaut besonders viel Schaden an – es kommt zur Entzündung, eine Hufrehe entsteht. Die Hufrehe kann also durch einen überstürzten Wechsel vom Stall auf die Weide ausgelöst werden. 

•Die im Aufwuchs vorhandenen Fructane (auch Fruktane oder Fructosane), ein Speicher-Kohlenhydrat, gelten als weitere Ursache für in Verbindung mit dem Weidegang auftretende Hufrehe. Fructane werden unter bestimmten Bedingungen verstärkt in der Pflanze gespeichert. Nimmt ein Pferd davon signifikant zu hohe Mengen auf, kann das eine Hufrehe auslösen, da Fructane erst im Dickdarm verarbeitet werden, dabei große Mengen Milchsäure frei werden und in der Folge die hier vorhandenen Mikroorganismen massenhaft absterben – mit den bekannten Folgen. Werden beim Anweiden größere Mengen Fructane aufgenommen, kann auch dies zu einer Hufrehe führen. 

Die Besiedelung des Dickdarms mit Mikroorganismen spielt also in jedem Fall eine bedeutende Rolle – diese kleinen Helfer gilt es zu schützen. 

Langsames Anweiden

Die durch einen allzu raschen Futterwechsel ausgelöste Hufrehe lässt sich recht einfach vermeiden, indem für den Übergang von Heu zu Weidegang mindestens etwa zwei Wochen veranschlagt werden. In dieser Zeit wird der Weidegang, beginnend mit 15-30 Minuten täglich, allmählich verlängert, während die Heufütterung entsprechend reduziert wird. Dabei sollten die Pferde grundsätzlich vor dem Weidegang mit Heu versorgt werden. Wer sich zudem die Zeit nimmt, vor dem offiziellen Beginn der Weidesaison seine Pferde an der Hand schon ein wenig grasen zu lassen, entschärft die Situation zusätzlich. 

Für übergewichtige und/oder an EMS bzw. ECS leidende Pferde gelten im Zusammenhang mit dem Weidegang grundsätzlich und nicht etwa nur zu Beginn besondere Vorsichtsmaßregeln: Ihre Futteraufnahme muss streng überwacht und beschränkt werden, etwa durch stundenweisen Weidegang, Portionsweiden oder einen auch als Fressbremse bekannten speziellen Maulkorb. 

Im Zusammenhang mit Fructanen ist die Vorbeugung weitaus komplizierter. Nur wer weiß, unter welchen Umständen es zu erhöhten Fructankonzentrationen in der Pflanze kommt, kann sein Pferd effektiv schützen. Die Gefahr ist nämlich mit dem erfolgreichen Anweiden nicht etwa vorbei… 

Fructane im Auge behalten

Fructane sind ein wichtiger Energiespeicher vieler Pflanzen. Zu höheren Fructankonzentrationen kommt es, vereinfacht gesagt, immer dann, wenn die Pflanze mehr Energie produziert als sie etwa durch Wachstum verbraucht. Fructane sind also die „Fettpölsterchen“ der Pflanze – was wir an der Hüfte anlegen, speichert die Pflanze in ihrem Stängel. Der Pferdehalter muss sich also fragen: Wann wird meine Weide viel Energie produzieren, kann aber nur wenig verbrauchen? Hier kommen viele Aspekte zusammen, wichtig zu Beginn der Weidesaison ist vor allem eine Kombination: Kälte und Sonne.  

Strahlt die Sonne vom Frühlingshimmel, laufen die Photosynthese-Kraftwerke auf Hochtouren. Kälte aber verhindert, dass die so gewonnenen Produkte in das Wachstum der Pflanze investiert werden, da der Weideaufwuchs erst ab einer bestimmten Temperatur – etwa 5-7 Grad – überhaupt zu wachsen beginnt und erst über 10 Grad so richtig in Fahrt kommt. Kein Problem für die Pflanze – die Energie wird einfach zwischengelagert. Das aber kann empfindlichen Pferden zum Verhängnis werden. 

Häufig kommen Faktoren hinzu, die die Situation verschärfen: 

•So weiß man inzwischen, dass bestimmte Gräser viel, andere weniger Fructan speichern. Als gefährlich gelten vor allem ehemalige Milchviehweiden mit einem hohen Bestand etwa an Deutschem Weidelgras („Turboweiden“). Weiden mit einem sehr vielseitig zusammengesetzten Pflanzenbestand sind für Pferde deshalb besser. 

•Das Pflanzenwachstum stockt nicht nur bei niedrigen Temperaturen, sondern ebenso, wenn Mineralstoffe oder Feuchtigkeit fehlen. Ungedüngte oder unzureichend gedüngte Weiden weisen deshalb ebenfalls statistisch höhere Fructangehalte auf. Auch bei Trockenheit wird das Pflanzenwachstum eingestellt und die über die weiterhin ablaufende Photosynthese gewonnene Energie gespeichert.  

•Und schließlich erweist sich die Praxis, alle oder zumindest potentiell gefährdete Pferde auf abgegraste oder geschnittene Weiden zu entlassen, nicht selten als typischer Schuss in den Ofen. Auf überweideten Flächen sowie abgemähten Heuweiden werden vor allem Blätter und Blüten entnommen, die Stängel bleiben stehen – und in den Stängeln ist der Fructangehalt besonders hoch.  

Was heißt das für den Pferdehalter?

Um die Hufrehegefahr im Zusammenhang mit dem Weideauftrieb möglichst zu begrenzen, muss zweigleisig gedacht werden. Zum einen ist sinnvolles Weidemanagement zu betreiben. Hohe Pflanzenvielfalt und maßgeschneiderte Düngung schränken die Fruktangehalte des Weideaufwuchses insgesamt ein – das ist allerdings nur langfristig umzusetzen. Wird von einer Weide vor dem Auftrieb Heu  

gewonnen, sollte nach dem Schnitt abgewartet werden, bis das Pflanzenwachstum erneut richtig Fahrt aufgenommen hat. Erst dann dürfen Pferde auf die Weide entlassen werden. Vor allem die Umstellung einer ehemaligen „Turboweide“ erfordert Zeit und erheblichen Aufwand, einfaches, einmaliges Übersäen mit geeigneten, wenig fructanhaltigen Pflanzen reicht nicht aus. Wer übrigens aus Umweltschutzgründen gänzlich auf eine Düngung verzichtet, wird längerfristig eher zu einer Verarmung seiner Weiden beitragen – es können hier nur Pflanzen überleben, die mit einem geringen Nährstoffangebot zurechtkommen – und die Rehegefahr wegen des stark gebremsten Wachstums tendenziell erhöhen. 

Zum anderen müssen Zeitpunkt und Dauer des Weidegangs (nicht nur) im Frühjahr flexibel gehandhabt werden, vor allem dann, wenn die gefährliche Kombination von Kälte oder gar Frost und Sonneneinstrahlung beobachtet wird. Hier ist es sinnvoll, keinen Weidegang zuzulassen oder ihn zeitlich stark einzugrenzen. Treffen dagegen starke Sonneneinstrahlung und günstige Wachstumsbedingungen (ausreichend Feuchtigkeit, Temperaturen dauerhaft über 10 Grad, genügende Mineralstoffversorgung der Böden) zusammen, wird kaum Fructan gespeichert, es besteht keine erhöhte Rehegefahr. Ist das Wetter eher bewölkt, läuft die Photosynthese sowieso auf Sparflamme und die Fructananreicherung hält sich unabhängig von den weiteren Bedingungen grundsätzlich in Grenzen. Bei milder Witterung kann man davon ausgehen, dass die Fructangehalte am Vormittag gering sind, da das Pflanzenwachstum während der Nacht nicht zum Erliegen kommt, mithin Fructane verbraucht, aber eben nicht neu gebildet werden – nachts scheint bekanntlich die Sonne nicht und es findet so auch keine Photosynthese statt. 

Gerade diese Thematik zeigt sehr deutlich, dass es immer wieder zu neuen Erkenntnissen und Erfahrungen kommt, auf die sich der Pferdehalter einstellen muss. Was gestern noch als der Weisheit letzter Schluss galt, ist heute oft schon überholt. Sich hartnäckig haltende Fehleinschätzungen gerade in Bezug auf die Reheprophylaxe müssen, wie andere Wissensdefizite auch, immer wieder mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft abgeglichen und notfalls revidiert werden. Damit wir unseren Pferden das grüne Glück der Weide gefahrlos ermöglichen können… 

Text und Foto: Angelika Schmelzer