Training im Winterhalbjahr

Herausforderungen für den Trageapparat

Das Winterhalbjahr steht vor der Tür und damit eine Zeit, die Reiter und Pferd eine signifikante Umstellung abverlangt: Von der Weide geht es zurück in den Stall, aus der Turniersaison wieder in ruhigere Fahrwasser, und vom Leben draußen verabschieden wir uns häufig mit den ersten Herbststürmen ebenfalls für die nächsten Monate – aus Rücksicht auf den empfindlichen Trageapparat unserer Pferde.
Schließlich machen Matsch, Reifglätte, Barfrost und andere Probleme mit dem Geläuf ein sinnvolles und gefahrloses Training unter freiem Himmel vorerst unmöglich. Oder etwa nicht?

Sturm, Regen und Kälte sind oft unangenehm, aber dagegen hilft eine angemessene Ausrüstung. Dazu kommt allerdings für sechs Monate oder länger auch noch problematisches Geläuf, das unsere Pferde aus dem Tritt und schlimmstenfalls zu Fall bringt, das ihren Trageapparat einem heftigen Stress-test unterzieht. Von beiden Auswirkungen der winterlichen Witterung ist unter dem schützenden Dach einer Reithalle natürlich kaum etwas zu spüren. Ist das Training hier also in den nächsten Monaten ganz klar die bessere Wahl? Besser, weil nicht nur angenehmer, sondern auch sicherer, gesünder, schonender fürs Pferdebein? So paradox es erscheinen mag, die Antwort ist ein klares „Nein“.

Herausforderungen für den Trageapparat

Reiten ist Sport, Sport braucht Training und Training beschränkt sich nicht auf den Muskelaufbau, die Entwicklung von Muskelkraft. Anatomisch und physiologisch betrachtet ist der gesamte Organismus, sind vor allem auch Sehnen, Bänder, Gelenke und Knochen und deren Zusammenspiel in den Trainingsprozess involviert. Nicht allein die reine Muskelkraft, sondern ebenso Aspekte wie Schnelligkeit, Beweglichkeit, Ausdauer und Koordination spielen eine Rolle. Gutes Training verbessert zudem das Zusammenspiel zahlreicher untergeordneter Elemente, macht es effektiver, ökonomischer, es optimiert Regelkreise. Das Training der körperlichen Leistungsfähigkeit bezüglich der Nutzung als Reit- und Fahrpferde hat deshalb zahlreiche Aspekte über den Zustand der Muskulatur hinaus. Mit diesen Fakten im Hinterkopf sollte auch das winterliche Training beleuchtet werden. Es ändert sich dann der Blickwinkel: Aus der potentiellen Gefahr kann bei sachkundigem Vorgehen ein wichtiger Baustein für umfassendes Training werden, das langfristig unsere Pferde sogar vor Schäden am Trageapparat schützt.
Kann es deshalb sinnvoll sein, (nicht nur) im Winter herausforderndes, anstrengendes Geläuf nicht zu meiden, sondern sogar aktiv aufzusuchen und zu nutzen? Bei der Entscheidung hilft ein Blick darauf, was wo eigentlich trainiert wird, wenn man den Blick einmal von Übungsabläufen und Lektionen weg und auf die allem zugrunde liegenden Strukturen und Funktionen im Trageapparat des Pferdes richtet. Wir trainieren nicht nur Fliegende Galoppwechsel und Traversalen, Takt und Haltung im Tölt, Höhe und Weite von Sprüngen, Spins und Stops: Wir trainieren Sehnen, Knochen, Bänder, Gelenke. Wir trainieren Abläufe und die Zusammenarbeit untergeordneter Strukturen. Wir trainieren die Erholung nach Belastung.
Welche Trainingsleistung erbringt unser Pferd also im Vergleich, wenn es beispielsweise beim lockeren Leichttraben einmal auf dem weichen und tiefen, nachgiebigen Hallenboden, dann dem teilweise überfrorenen Sand des Außenreitplatzes, einem hart durchgefrorenen, leicht unebenen Waldweg mit geringer Laubauflage oder dem aufgeweichten und tiefen Schlammpfad im Tal geritten wird?
Da lassen sich zahlreiche Unterschiede feststellen, beispielsweise diese: Bei ebenem, nachgiebigem Boden können die Gliedmaßen gerade vorgeführt und aufgesetzt, die Hufe plan belastet werden. Weist der Boden dagegen Unebenheiten auf, die unter der Belastung bestehen bleiben, sind winzige muskuläre Ausgleichsbewegungen notwendig, gleichzeitig erhöht sich der Aufwand für alle Strukturen, die für Stabilität in alle Richtungen sorgen. So müssen die Bänder eines Gelenkes beispielsweise sicherstellen, dass ein seitliches Abknicken des Beines nicht zu Verletzungen führt, schnell und fein reagierende Muskeln sorgen über ihre Verlängerungen, die Sehnen, für zusätzliche Stabilität und stützen im Zusammenspiel den gesamten Trageapparat. Mit jeder Bewegung auf herausforderndem Geläuf werden diese Strukturen gestärkt, wird auch ihr Zusammenspiel verbessert. Doch auch im Inneren der Knochen sind Trainingseffekte nachweisbar, dort finden permanente Umbau-prozesse statt, die eine Anpassung an sich ändernde Bedingungen erlauben. Sie führen auch dazu, dass feinste Strukturen innerhalb der Knochen immer wieder neu entlang der Belastungslinien ausgerichtet werden. Der Knochen wird so entsprechend der Art und Weise, wie Kräfte auf ihn einwirken, verstärkt.
Es liegt auf der Hand, dass diese Vielzahl an Trainingsreizen, die in unterschiedliche Richtungen gehen, auch jeweils einzelne Effekte hervorrufen und erst in ihrer Gesamtheit einen umfassend gut trainierten Trageapparat ausmachen – vorausgesetzt, diese Belastungen be-wegen sich innerhalb zuträglicher Grenzen. Training auf forderndem Geläuf ist also zwar sicher anstrengender für alle tragenden Strukturen, beinhaltet aber zusätzliche Trainingseffekte, die sich auf lange Sicht positiv auf die Gesunderhaltung des Trageapparates auswirken: Sie machen ihn stark. Das auf unterschiedlichem, auch anspruchsvollem Geläuf sachkundig gearbeitete Pferd wird über einen sehr viel besser auf „Fehltritte“ vorbereiteten Trageapparat verfügen und intensivere Belastungen etwa während der Turniersaison besser verkraften als der vermeintlich rücksichtsvoller, aber eben einseitig bewegte Kollege.
Das ausschließlich oder vorwiegend auf weichem Hallenboden trabende Pferd wird sicherlich unter vordergründig großer Schonung des Trageapparates bewegt, und das klingt erst einmal gut, pferdefreundlich, gesund. Es ermüdet auch später, da etwa seine Muskulatur keine Energie in dauernde Ausgleichsbewegungen investiert, und kann so sicherlich mehr Kraft in die abverlangten Lektionen einbringen. Aber: Sein Trageapparat wird nicht auf härtere Anforderungen vorbereitet, nach vielen Wochen und Monaten des Trainings auf weichem Boden halten Sehnen, Bänder und Knochen kaum mehr einfachen Stolperfallen beim Training, aber auch abseits davon stand: Unebenheiten im Hallenboden, Antouchieren einer Trabstange, Stolpern bei einer Schreckreaktion, Ausgleiten auf nassem Gras, Wegrutschen beim Aufstehen, kurzes Ausgleiten beim Auskeilen auf der Weide – im Alltag sind viele Situationen denkbar, in denen ein Pferd aus dem Tritt kommt, ein wenig die Balance verliert, sich fangen muss. Sind nun die Muskeln auf solche „außerplanmäßigen Aktivitäten“ nicht vorbereitet, Bänder, Sehnen und Knochen nicht stark und fest genug, liegt die Feinabstimmung der Bewegung brach, führen selbst harmlose Hüpfer, Rutscher und Stolperer nicht selten zu langwierigen Verletzungen des Trageapparats. Zudem ist weicher Hallenboden auch kein Garant für schonende Bewegung, denn das tiefere Einsinken des Hufes in ein Substrat, das häufig gut zehn Zentimetern nachgibt, beansprucht Bänder und Sehnen ebenfalls, und zwar sehr einseitig. Und natürlich sind die Knochen des Trageapparates völlig überfordert, wenn es dann im kommenden Sommer wieder über trocken-harte Böden geht…

Do’s und Don’ts bei winterlichen „Straßenverhältnissen“

Ein Geläuf, das die tragenden Strukturen des Pferdekörpers umfassend trainiert – das macht für ein gesundes, über eine gute Grundkondition verfügendes Pferd aus Matsch, Eis und Schnee eine willkommene Herausforderung. Die gilt es, mit Augenmaß und Sachverstand anzunehmen und zudem mit den Rahmenbedingungen bezüglich Haltung, Hufschutz, Trainingsinhalten, Ausbildungsstand von Reiter und Pferd und anderen abzustimmen. Knackpunkt ist tatsächlich oft der Hufschutz: Je nach dem aktuellen Zustand des Geläufs ist das Pferd mal barhuf, mal mit Hufschuhen und dann wieder mit einem dauerhaft angebrachten Hufschutz samt „Winterbereifung“ am besten, weil am sichersten unterwegs.

Was also geht

• bei tiefem Matsch? Da geht nicht mehr viel. Richtige Schlammschlachten schlägt man am besten in ruhigem Schritt, mit weich vorfühlender Hand und entlastendem Sitz. Bergauf und bergab ist unbedingt auf eine gerade Linie zu achten, es geht auf direktem Weg und nicht etwa schräg rauf und runter. Hilfreich sind Beschläge mit Stollen, die mehr Halt geben und auch bei der unguten Kombination von nassem Gras, Gefälle oder Steigung und matschigem Untergrund die Situation entschärfen.
• bei Reif- oder Eisglätte? Da kommt es ganz auf den Hufschutz an. Barhufe können ausgleiten, viele Hufschuhe stoßen bei Reif und Eis schnell an ihre Grenzen. Permanente Beschläge mit Widiastiften, -nägeln oder -stollen dagegen bieten effektiven Schutz vor Rutschpartien. Ist der Boden nur leicht überfroren, sind auch höhere Geschwindigkeiten möglich, ist er dagegen tief durchgefroren und deshalb betonhart, sollte Schritt geritten werden. Achtung auch bei Laubauflagen mit einem Reif“zucker“ – die sind oft unerwartet rutschig.
• tief durchgefrorenen Böden? Betonharte Winterböden verlangen nach Reiten im Schritt. Barhufe können am Tragrand splittern, wenn das Pferd auf unebenem, hart gefrorenem Boden geritten wird. Frostperioden nach starken Niederschlägen führen oft zu einer gefährlichen Buckelpiste: Der tief durchfurchte Matsch gefriert und lässt gefahrloses Reiten selbst im Schritt nicht mehr zu. Dann bleiben Reiter und Pferd tatsächlich besser daheim…
• bei Schnee? Bei genügend hoher Schneeauflage und geeigneter „Winterbereifung“ (barhuf oder Hufschutz, der gegen Aufstollen hilft, beispielsweise klassischer Beschlag mit Widiastiften und Hufgrip) sind Ritte draußen fast uneingeschränkt möglich. Man sollte aber das Gelände gut kennen, da etwaige Stolperfallen unter dem Schnee nicht mehr wahrgenommen werden können. Gefahr droht nicht nur durch große Steine, quer liegende Baumstämme oder etwa Stacheldraht, schon einfache Vertiefungen können das Pferd völlig aus dem Tritt und zu Fall bringen.
Ganz wichtig, nicht nur im Winter: Die von vielen Reitern wenig geschätzte, weil als langweilig erachtete Aufwärmphase. Unsere Pferde aber brauchen eine ausreichend lange Zeit, in der Muskeln gelockert, Gelenke geschmiert und Sehnen und Bänder erwärmt werden. Bei Ritten auf schwierigem Geläuf sollte zudem von anspruchsvollen Lektionen und schwierigen Übungen abgesehen werden, damit sich das Pferd ganz auf die Bewältigung der winterlichen „Straßenverhältnisse“ konzentrieren kann. Auch mit Winterbeschlag sind deshalb Kombinationen von tiefem Matsch und Sprüngen, Eisglätte und Seitengängen und vergleichbares zu meiden. Für Ritte auf winterlich problematischem Untergrund aber gilt wie für viele andere Herausforderungen: Übung macht den Meister.

Text: Angelika Schmelzer