Vererbung für Polydaktylie beim Pferd nachgewiesen
Wissenschaftler an der Universität von Lyon (Frankreich) konnten für die Polydaktylie beim Pferd erstmals eine Hauptgenwirkung nachweisen. Unter Polydaktylie versteht man bei Pferden das Vorhandensein zusätzlicher Zehen in unterschiedlicher Ausprägung. Diese können mit einem Huf (Hornschuh) ausgebildet sein und treten am häufigsten ausgehend von den Griffelbeinen an den Vordergliedmaßen betroffener Pferde auf.
In der Biologie werden zusätzliche Zehen beim Pferd auch mit einem „Rückschlag“ (atavistische Polydaktylie) auf die Urvorfahren unserer heutigen Pferde diskutiert, welche vor etwa 50-30 Millionen Jahren noch auf fünf Zehen gelaufen sind. Nur die bleistiftdünnen Griffelbeine sind bei unseren heutigen Pferden im Laufe der Entwicklungsgeschichte noch als verkümmerte Reste der ehemals zweiten und vierten Zehe erhalten geblieben – beim Pferd finden sich entlang der Röhrbeine jeweils zwei Griffelbeine an jeder Gliedmaße. Für die Einsatzfähigkeit können die zusätzlichen Zehenglieder meist ohne weitere Nachfolgen chirurgisch entfernt werden. Die uneingeschränkte Belastbarkeit der operierten Gliedmaße muss jedoch für jeden Einzelfall sorgfältig geprüft werden.
Beim Pferd wird schon sehr lange von Einzelfällen in zahlreichen Rassen berichtet, meist von Fohlen mit Zehenverdopplung, seltener mit Zehenverdreifachung, und eine Vererbung der Polydaktylie auch nicht ausgeschlossen. Betroffene Pferde und ihre Eltern mussten bereits in den Büchern sehr früher Zuchten entsprechend gekennzeichnet werden. Jedoch fehlten für eingehende genetische Untersuchungen stets ausreichend vorhandene Daten.
An der Vet. Univ. von Lyon konnte unter Leitung von Frau Prof. Marie Abitbol in intensiver, jahrelanger Forschungsarbeit und durch Mitwirkung vieler Pferdehalter nun erstmals eine Erbanlage mit Hauptgenwirkung für beidseitig an den Vorderbeinen auftretende zusätzliche Zehen nachgewiesen werden. Zur Verfügung standen mehrere betroffene Berberfohlen, in deren Abstammung sich jeweils ein und derselbe Ahne findet.
Zusätzlich wurden fast 400 Pferde aus vielen verschiedenen Rassen und nicht verwandte Berberpferde mittels umfassender Genanalyse untersucht. Für das Auftreten der Polydaktylie in der betroffenen Pferdelinie konnten Genwirkungen aufgedeckt werden, welche sich nicht in anderen Berberpferden und anderen Pferderassen befanden. Es wurde ein dominanter Erbgang mit Hauptgenwirkung aufgezeigt, der bei den Genträgern jedoch zu äußerlich sehr verschiedener Ausprägung der Polydaktylie führt, vergleichbar zum Beispiel mit der äußerlichen Variation der Zeichnung bei Schecken. So konnte die Polydaktylie bei einem Pferd nicht äußerlich, sondern erst durch Röntgenaufnahmen nachgewiesen werden, was die mögliche sehr verschiedene Ausprägung am Einzeltier unterstreicht.
Es ist so durchaus möglich, dass Elterntiere die Erbanlage weitergeben, ohne äußerlich von der Polydaktylie betroffen zu sein. Dies könnte durch Umwelteinflüsse und zusätzliche Erbanlagen mit Nebenwirkungen bedingt sein, welche Einfluss auf die Ausprägung beim Einzeltier haben. Ob es sich in der Berberpferdelinie um eine bisher unbekannte, neu aufgetretene Erbanlage handelt oder zuvor bereits weiter zurückliegende Ahnen von der Polydaktylie betroffen waren, konnte weiterführend nicht untersucht werden.
Insgesamt zeigen die bisherigen Forschungsergebnisse jedoch sehr deutlich, dass beim Auftreten zusätzlicher Zehen eine mögliche genetische Ursache, insbesondere bisher unbekannte Genwirkungen (Neumutationen) beim Pferd nicht ausgeschlossen werden dürfen.
Text und Foto: Dr. Ines v. Butler-Wemken